Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

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saschad74
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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von saschad74 » 09.09.2012 13:01

NeusserGletscher hat geschrieben:Teste doch einfach selbst!

Nimm 10 Meter Anlauf und springe gegen eine Wand. Einmal mit und einmal ohne Helm. Damit das ganze einen wissenschaftlichen Anstrich bekommt, 5x hintereinander. Dann kannst Du uns in 5 Monaten mitteilen, ob Du mit Helm weniger schwere Kopfverletzungen hattest als ohne.
Ich darf aus dem sachlichen Gehalt Deiner Ausführungen schliessen, dass Du diesen Test bereits selbst durchgeführt hast? ;)
Derartige emotionale Ausfälle tragen nichts, aber auch gar nichts zu einer sachlichen Diskussion bei.
NeusserGletscher hat geschrieben:Die Wirksamkeit eines gut sitzenden und ausgereiften Helms in Frage zu stellen ist genau so sinnbefreit wie die Wirkung von Airbag und Gurt im Auto in Frage zu stellen.
"Die Wirksamkeit eines gut sitzenden und ausgereiften Auto-Helms in Frage zu stellen ist genau so sinnbefreit wie die Wirkung von Airbag und Gurt im Auto in Frage zu stellen." Stimmt doch dann auch, oder?

Wenn das so ist, dann sollte es ja nicht allzu schwer sein, ein paar einfache Zahlen zur Wirksamkeit von Skihelmen zu präsentieren. Wenn das anscheinend nicht so einfach ist, dann liegt die Vermutung nahe, dass das Nachhaken, ob hier eine nachgewiesenermaßen wirksame Massnahme propagiert werden soll, durchaus seine Berechtigung hat.

In diesem Sinne würde ich mich freuen, wenn wir uns wieder von der emotionalen "das weiss doch jeder, und wer's nicht weiss, zeigt damit sowieso nur, dass sein Hirn nicht schützenswert ist"-Schiene weg- und zu einer faktenbasierten Diskussion hinbewegen. Dankeschön.

Gruß,
Sascha

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von NeusserGletscher » 09.09.2012 13:54

saschad74 hat geschrieben:"Die Wirksamkeit eines gut sitzenden und ausgereiften Auto-Helms in Frage zu stellen ist genau so sinnbefreit wie die Wirkung von Airbag und Gurt im Auto in Frage zu stellen." Stimmt doch dann auch, oder?
Wenn ich mit meinem Auto Rennen fahre, dann würde ich diese Aussage zu 100% unterstreichen. Und noch dahingehend ergänzen, daß der Innenraum durch einen speziellen Käfig geschützt werden muss und die Türen verschweisst werden, um der Fahrerzelle mehr Stabilität zu geben.

Es kommt halt immer auf den Einsatzzweck an.

Für den Auto-Normalfahrer bieten Helme kaum einen signifikanten Gewinn an Sicherheit, weil die bereits im Auto verbauten Sicherheitseinrichtungen in der Regel ausreichen.

Ein Skifahrer, der mit 50 Sachen unterwegs ist, hat nichts von dem. Und Mofafahrer müssen bereits, auch wenn sie viel langsamer unterwegs sind, einen Helm tragen.


Ich weiss nicht warum es Dir so schwer fällt zu akzeptieren, daß ein Helm grundsätzlich geeignet ist, die Schwere von Kopfverletzungen zu vermindern?
Was man selbst erledigt können andere nicht verkehrt machen.

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von saschad74 » 09.09.2012 14:05

NeusserGletscher hat geschrieben:Für den Auto-Normalfahrer bieten Helme kaum einen signifikanten Gewinn an Sicherheit, weil die bereits im Auto verbauten Sicherheitseinrichtungen in der Regel ausreichen.
Das bliebe zu belegen. Um bei Deiner Logik zu bleiben, teste es doch selbst und hau Deinen Kopf einfach fünfmal mit voller Wucht gegen das Seitenfenster und wiederhole das ganze dann nochmal mit Helm.
NeusserGletscher hat geschrieben:Ein Skifahrer, der mit 50 Sachen unterwegs ist, hat nichts von dem. Und Mofafahrer müssen bereits, auch wenn sie viel langsamer unterwegs sind, einen Helm tragen.
Wir diskutieren hier aber nicht über Mofas (gibt's die noch?). Radfahrer müssen, obwohl sie ähnlich schnell unterwegs sind, keinen Helm tragen.
NeusserGletscher hat geschrieben:Ich weiss nicht warum es Dir so schwer fällt zu akzeptieren, daß ein Helm grundsätzlich geeignet ist, die Schwere von Kopfverletzungen zu vermindern?
Grundsätzlich geeignet, da gebe ich Dir vollkommen Recht und das habe ich auch nicht angezweifelt. Ich sehe nur in den hier vorgelegten Zahlen keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass Helme dies auch nur ansatzweise in dem Maße tun, wie es häufig kolportiert wird und wie offensichtlich die Richter, die dieses hier diskutierte Urteil gefällt haben, es ebenfalls annehmen.

Und wenn mir mehr oder weniger direkt eine Maßnahme vorgeschrieben wird, möchte ich die Wirksamkeit dieser Maßnahme eben erstmal belegt haben. Was genau ist daran so ungewöhnlich?

Gruß,
Sascha

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von plateaucarver » 09.09.2012 18:35

saschad74 hat geschrieben: Ich sehe nur in den hier vorgelegten Zahlen keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass Helme dies auch nur ansatzweise in dem Maße tun, wie es häufig kolportiert wird und wie offensichtlich die Richter, die dieses hier diskutierte Urteil gefällt haben, es ebenfalls annehmen.
Dazu müsste man das Urteil komplett vorliegen haben.

Aber richterliche Urteile müssen - im Gegensatz zu deiner und meiner Meinung zu dem Thema - 1. begründet werden und 2. unterliegt diese Begründung selbst der Überprüfung durch Berufung und Revision. Du kannst davon ausgehen, dass die Richter am OLG nicht einfach so vom Urteil des LG abgewichen sind, sondern substantiell begründet haben, warum sie den Schadensersatz auf 50% reduziert haben. Und da es bei Urteilen um den Einzelfall geht, wurde höchstwahrscheinlich ein Gutachter oder Sachverständiger gehört, der beurteilt hat, ob die ohne Helm erlittenen Verletzungen mit Helm auch aufgetreten wären. Wer Richtern am Berufungsgericht einfache Annahmen als Urteilsgrundlage unterstellt, der glaubt wahrscheinlich auch, dass Autos bei Auffahrunfällen immer explodieren (kennt man ja ausm Film, muss also stimmen :P ).
saschad74 hat geschrieben: Anteil der Kopfverletzungen an den Gesamtverletzungen im Verlauf mehrerer Jahre (2002/03-2008/09 für Snowboarder bzw. 1997/98 - 2008/09 für Skifahrer) dargestellt ist, ganz deutlich, dass der Anteil der Kopfverletzungen definitiv nicht rückläufig ist, tendenziell sogar eher leicht steigend (bei den weiblichen Snowboardern hat sich der Anteil der Kopfverletzungen sogar fast verdoppelt), und zwar trotz immens gestiegener Helmtragequote.
1997 bis 2008 gab es Entwicklungen, die auf das Verletzungsspektrum großen Einfluss hatten:
- Anteil der Carvingski auf der Piste (dazu zähle ich nicht die damals populären "Semicarver" mit 25m Radius) stieg von unter 50 auf über 95%
- Anteil der Skitage mit reiner und dominierender Kunstschneeauflage stieg anteilmäßig ebenfalls stark an auf nahezu 100%, d.h. präparierte Pisten, auf denen man beim Sturz Spuren des Sturzes sieht ("Einschlagskrater"), gibt es im Gegensatz zu früher so gut wie nicht mehr. Stürzt man heute, dann fällt man wie auf Beton. Das wird auch durch den von dir erwähnten Anstieg der Kopfverletzungen bei Snowboarderinnen unterstrichen, denn bei denen hat - anders als bei Skifahrerinnen - die Helmtragequote nicht wesentlich zugenommen. Die Skifahrerinnen haben das gestiegene Verletzungsrisiko durch einen starken Anstieg der Helmtragequote kompensiert und so den Anteil der Kopfverletzungen konstant gehalten.

Zur der kanadischen Studie schreibe ich später noch etwas - nur soviel: Unfallstatistiken sind immer verzerrt, da ja gerade die, denen ein Helm eine Verletzung erspart hat, dort nicht auftauchen. Eine Aussage wie du sie erhalten willst - die protektive Wirkung - kann man wirklich am ehesten mit Methoden erhalten, die dem Gegen-die-Wand-rennen ähneln (kann man ja auch mit Dummies machen). Darum verstehe ich die abqualifizierende Bemerkung von dir darüber überhaupt nicht (abgesehen hast du solch eine Testreihe fürs Auto ja selbst vorgeschlagen :wink: ).

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von saschad74 » 09.09.2012 18:59

plateaucarver hat geschrieben:Und da es bei Urteilen um den Einzelfall geht, wurde höchstwahrscheinlich ein Gutachter oder Sachverständiger gehört, der beurteilt hat, ob die ohne Helm erlittenen Verletzungen mit Helm auch aufgetreten wären.
Wer Richtern am Berufungsgericht einfache Annahmen als Urteilsgrundlage unterstellt, der glaubt wahrscheinlich auch, dass Autos bei Auffahrunfällen immer explodieren (kennt man ja ausm Film, muss also stimmen :P ).
Keine Ahnung, wie Du jetzt auf die explodierenden Autos kommst, aber es ist doch grundsätzlich egal, ob da ein Sachverständiger etwas ausgesagt hat. Sachverständige können auch nicht jeden Sachverhalt korrekt beurteilen, und zwar bei so "kleinen" Prozessen noch viel weniger als bei großen Prozessen, die wirklich im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Und selbst bei denen sieht man immer wieder abenteuerliche Beurteilungen von angeblichen Sachverständigen.
plateaucarver hat geschrieben:- Anteil der Skitage mit reiner und dominierender Kunstschneeauflage stieg anteilmäßig ebenfalls stark an auf nahezu 100%, d.h. präparierte Pisten, auf denen man beim Sturz Spuren des Sturzes sieht ("Einschlagskrater"), gibt es im Gegensatz zu früher so gut wie nicht mehr. Stürzt man heute, dann fällt man wie auf Beton. Das wird auch durch den von dir erwähnten Anstieg der Kopfverletzungen bei Snowboarderinnen unterstrichen, denn bei denen hat - anders als bei Skifahrerinnen - die Helmtragequote nicht wesentlich zugenommen.
Klingt grundsätzlich nicht unplausibel - wo genau finde ich Zahlen zur Helmtragequote in diesem Zeitraum von Skifahrern und Snowboardern, aufgebrochen nach Geschlecht?
Und nebenbei bemerkt: bei meinen letzten Stürzen (in den letzten beiden Wintern) hatte ich nicht das Gefühl, wie auf Beton zu fallen - das hatte ich bis dato nur ein einziges Mal, auf einer stark vereisten Piste. Kunstschnee hat da durchaus eine andere Dimension von Härte...
plateaucarver hat geschrieben:Zur der kanadischen Studie schreibe ich später noch etwas - nur soviel: Unfallstatistiken sind immer verzerrt, da ja gerade die, denen ein Helm eine Verletzung erspart hat, dort nicht auftauchen.
Nein, verzerrt müssen sie nicht notwendigerweise sein. Wenn wir wirklich jetzt ca. 95% Helmtragequote haben, dann sollte man bei 30% durch Helm vermiedenen Kopfverletzungen im Vergleich zur Situation vor 5 Jahren einen deutlichen Rückgang der Kopfverletzungen pro 100.000 Skifahrern sehen, andernfalls besteht Erklärungsbedarf, warum die Wirkung nicht die erwartete ist.
plateaucarver hat geschrieben:Eine Aussage wie du sie erhalten willst - die protektive Wirkung - kann man wirklich am ehesten mit Methoden erhalten, die dem Gegen-die-Wand-rennen ähneln (kann man ja auch mit Dummies machen).
Ich will keine theoretische "protektive Wirkung" wissen, ich will eine Auswertung der Praxis sehen.
Nur am Rande: ich weiss, dass das praxisnahe Nachstellen von Fahrradunfällen mit Dummies immer noch kaum möglich ist, wegen der vielen Variablen. Bei Skifahrern wird dies ähnlich sein, vermute ich.
plateaucarver hat geschrieben:Darum verstehe ich die abqualifizierende Bemerkung von dir darüber überhaupt nicht (abgesehen hast du solch eine Testreihe fürs Auto ja selbst vorgeschlagen :wink: ).
Ja, der Vorschlag war nicht ernst gemeint, sondern als Reaktion auf das Vorhergehende gemeint. Und abqualifizieren möchte ich keine Crashtests, sondern nur die Art und Weise, wie der Selbstversuch dem Diskussionsgegner nahegelegt wurde. Nach dem Motto "lauf gegen die Wand, dann haben wir hier Ruhe vor Dir!". Ich denke, das verstehst Du schon, oder?

Gruß,
Sascha

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von plateaucarver » 10.09.2012 00:46

saschad74 hat geschrieben:Sachverständige können auch nicht jeden Sachverhalt korrekt beurteilen, und zwar bei so "kleinen" Prozessen noch viel weniger als bei großen Prozessen, die wirklich im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Und selbst bei denen sieht man immer wieder abenteuerliche Beurteilungen von angeblichen Sachverständigen.
Ein OLG ist keinesfalls "klein", über einem OLG gibt es nur noch den BGH - man sollte Medienberichterstattung und juristische Bedeutung nicht verwechseln. Zur Beurteilung der Unfallfolgen kann man - auch ohne sich Sachverständiger zu schimpfen - folgenden Gedankengang nachvollziehen: wie oben schon zitiert, soll ein Ski-Helm laut der EU-Norm bis zu einer Geschwindigkeit von 22 km/h wirksam vor Kopfverletzungen schützen. Diese Geschwindigkeit wird bei einem Sturz aus knapp 2m Höhe erreicht. Wenn ein Skifahrer bis 2m Körpergröße von einem anderen angefahren wird, umkippt und auf den Kopf fällt, ist das also genau diese Situation. Die Schlussfolgerung, dass ohne Helm erlittene Kopfverletzungen beim simplen Hinfallen (wie es bei dem Zusammenstoß, der Anlass des Urteils war, offensichtlich der Fall war) mit einem normgerechten Helm vermeidbar gewesen wären, ist also so naheliegend, dass man eher das Gegenteil beweisen müsste.
Hier noch Lesenswertes zur Prüfnorm EN/CEN 1077:
"The specified single drop height is 1.5 meters, and to pass the test, on impact, peak acceleration imparted to the headform cannot exceed 250 Gs. ... Under CE 1077 a penetration test is also called for. This is a "drop-hammer" type test where the helmet and headform is allowed to drop onto a conical metal punch from a height of .75 meters. (750mm). The helmet fails the test if the punch makes contact with the headform."
Also Kopf aus 1,5m Höhe auf eine ebene harte Fläche fallen lassen und aus 75cm Höhe auf einen spitzen Metallkegel - dann hast du einen normgerechten Vergleich :wink:
saschad74 hat geschrieben:wo genau finde ich Zahlen zur Helmtragequote in diesem Zeitraum von Skifahrern und Snowboardern, aufgebrochen nach Geschlecht?
Habe ich leider auch vergeblich gesucht :cry:
saschad74 hat geschrieben:wenn ich beispielsweise diese Tabelle anschaue:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/article ... able/tbl2/
dann sehe ich dort rund 75% Anteil von helmlosen bei Kopfverletzungen bei einer Helmtragequote von 28%. Wenn wir also hypothetisch annehmen, Helme hätten wirklich absolut keinerlei Effekt, dürften wir 72% Anteil von helmlosen erwarten. Die immer wieder erwähnten 30% Reduktion von Kopfverletzungen sehe ich da nicht. Kannst Du mir auf die Sprünge helfen?
Da geht es in die Abgründe der Statistik ;-) ... ganz grob: es wurde geschaut, wie das Verhältnis von Kopfverletzungen zu anderen Verletzungen bei den Unfallmeldungen der Skigebiete war, unterschieden nach Helmträgen und Nichthelmträgern. Angenommen, die Fallzahlen aus der Tabelle würden sich nur auf ein Skigebiet beziehen und die Unfallmeldungen wären vollständig, dann sähe der Vergleich so aus:
Nichthelmträger: Kopfverletzungen 518 von 2971 (518+87+2366) -> 17,4% "Chance" auf eine Kopfverletzung bei einem Unfall
Helmträger: Kopfverletzungen 175 von 1148 (175+44+929) -> 15,2% "Chance" auf eine Kopfverletzung bei einem Unfall
Die Chance ("Odds ratio", oft als "OR" abgekürzt) auf eine Kopfverletzung läge in diesem Fall also etwa um 13% niedriger als bei den Nichthelmträgern.
Da 20 Skigebiete betrachtet wurden und die Befragungs- und Erfassungsquoten wohl unterschiedlich waren, gab es unterschiedliche statistische Korrekturrechnungen, die in Tabelle 3 erläutert werden.
saschad74 hat geschrieben:Interessant auch der Satz "What is already known on this topic: Helmets protect bicyclists against head injuries" - ohne irgendeinen Beleg
Also im Vollext des BMJ ist als Quelle Helmets for preventing head and facial injuries in bicyclists von Thompson/Rivara/Thompson angegeben.

Ich halte es - trotz des Alters der australischen Untersuchung - schon für möglich, dass ein fahrradhelmähnlicher Kopfschutz eine ebenso günstige wie wirksame Maßnahme zur Reduzierung von Kopfverletzungen bei Autoinsassen ist und wegen der um ein vielfaches größeren Zahl der Autofahrer der volkswirtschaftliche Nutzen einer befolgten Autofahrer-Helmpflicht größer wäre als der einer Skihelmpflicht. Allerdings gibt es - anders als beim Ski- und Fahrradhelm - noch keine Schutzanforderungen, Prüfverfahren und Normen. Und selbst wenn es sie gäbe, käme als nächstes die Frage nach der Akzeptanz eines "Indoor-Helmes" (wie viele Autofahrer telefonieren z.B. trotz eindeutigen Verbot mit dem Handy am Ohr?). In der australischen Studie von 1997 wurde ja vor allem eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht, die für den Helm ausging - als Beifahrer-Airbags gerade ihre Verbreitung in Mittelklasseautos fanden, Seitenairbags nur in der Oberklasse existierten und der Kopfairbag nur für ein Modell verfügbar war. Heute, da diese Schutzsysteme selbst bei Kleinwagen für unter 11.000 Euro Listenneupreis zur Serienausstattung gehören, sieht die Rechnung vermutlich anders aus. Und ich bin überzeugt, dass ein Autokäufer lieber 500 Euro für eine Ausstattung mit Kopfairbag ausgibt als 50 Euro für einen im Auto zu tragenden Helm (und auch das Recht hat, diese Entscheidung so zu treffen). Diese Wahl hat der Skifahrer aber nicht - er kann sich nur zwischen Kopfschutz oder keinem Kopfschutz entscheiden ... :-/

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von NeusserGletscher » 10.09.2012 09:45

saschad74 hat geschrieben:Um bei Deiner Logik zu bleiben, teste es doch selbst und hau Deinen Kopf einfach fünfmal mit voller Wucht gegen das Seitenfenster und wiederhole das ganze dann nochmal mit Helm.
Das brauche ich nicht, denn selbst mein betagtes Auto verfügt bereits über Seitenairbags.
saschad74 hat geschrieben:Grundsätzlich geeignet, da gebe ich Dir vollkommen Recht und das habe ich auch nicht angezweifelt. Ich sehe nur in den hier vorgelegten Zahlen keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass Helme dies auch nur ansatzweise in dem Maße tun, wie es häufig kolportiert wird
Diese Unfallstatistiken sind IMHO nicht geeignet, die Wirksamkeit von Helmen zu beurteilen. Denn wie willst Du den Skifahrer, der ohne Helm mit Schritttempo gegen einen Baum fährt mit dem Skifahrer vergleichen, der mit Helm bei 50 Sachen gegen die Pistenbegrenzung knallt? Ausserdem, ein Skifahrer, der einen Unfall hat und dank Helm einfach weiterfährt, der taucht in solchen Statistiken ja erst gar nicht auf, solange die Rettung nicht zu Hilfe eilt. Wenn aber nur die Verunfallten berücksichtigt werden, die tatsächlich auch einer ärztlichen Behandlung bedurfen, dann wird das Ergebnis ja von vorne herein verfälscht.

Im Freundeskreis gab es mal einen Rückwärtssturz auf harte Piste, verursacht durch einen Snowboarder. Dank Helm bliebt es bei ein wenig Kopfschmerz. Ich selbst hab mich auch auf diese Art und Weise ohne Fremdeinwirkung zerlegt. Ohne Helm wäre es wohl eine Gehirnerschütterung geworden.

Ich persönlich sehe es auch als höchst problematisch an, bei einem fremdverschuldeten Unfall dem Geschädigten eine Mitschuld anzudichten, weil der keinen Helm getragen hat, obwohl dies nicht vorgeschrieben ist.

Grundsätzlich fahre ich aber immer mit und meist auch mit leichtem Rückenprotektor. Ein bekannter Skilehrer wäre einmal beinahe aus seinem Urlaub im Rollstuhl zurückgekehrt, weil er auf der Piste von einem anderen Skifahrer umgehauen wurde. Seit dem fährt er auch nur noch mit Protektor.

Solange mich Helm und Protektor nicht behindern (die dämpfenden Ohrpolster habe ich abgenommen) sehe ich persönlich keinen Grund, auf diesen Schutz zu verzichten.

Gruß

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von plateaucarver » 10.09.2012 10:19

saschad74 hat geschrieben:Ich will keine theoretische "protektive Wirkung" wissen, ich will eine Auswertung der Praxis sehen.
In diesem Video werden Crashversuche mit und ohne Rückenprotektor und Helm gezeigt:
http://www.upi.ch/German/sport/schneesp ... /test.aspx -> Crashtests für die Sicherheit auf Pisten. Sendung Einstein vom 26.02.2009 (Helme ab Minute 4, Vorsicht Schwyzerdütsch :wink: )

Zum HIC-Wert: http://de.wikipedia.org/wiki/Head_Injury_Criterion

Fall aus ca. 1,60m Höhe - mit Helm: HIC15-Wert 251, ohne Helm: 4965
plateaucarver hat geschrieben:Angenommen, die Fallzahlen aus der Tabelle würden sich nur auf ein Skigebiet beziehen und die Unfallmeldungen wären vollständig, dann sähe der Vergleich so aus:
Nichthelmträger: Kopfverletzungen 518 von 2971 (518+87+2366) -> 17,4% "Chance" auf eine Kopfverletzung bei einem Unfall
Helmträger: Kopfverletzungen 175 von 1148 (175+44+929) -> 15,2% "Chance" auf eine Kopfverletzung bei einem Unfall
Andere Rechnung unter der Annahme, dass Können, Unfallarten, Pistenverhältnisse usw. von Nichthelm- und Helmträgern gleich sind:

Nichthelmträger: Der Anteil an Nichtkopfverletzungen (87+2366) beträgt 82,56% aller 2971 Verletzugen
Helmträger: Wenn 973 Nichtkopfverletzungen (44+929) 82,56% aller Unfälle darstellen, dann gab es insgesamt 1178 Unfälle, also 205 Unfälle mit potentiellem Kopfschaden. Aufgetreten sind aber nur 175 - 40 bzw. 14,7% weniger als zu erwarten waren, ein direkt belegbarer Nutzen.
Da die Untersuchung aber viele Skigebiete betrachtet, soll die nur als Demionstration des Rechenwegs dienen.

Statistisch sauber wäre
- die Erfassung des Tempos beim Unfall (Beteiligten-/Zeugenschätzungen, evtl. korrigiert durch die meist anzutreffende Unterschätzung des eigenen Tempos)
- die Feststellung, welcher Helmtyp getragen wurde (leichter Inmold mit Schutzklasse B oder renntauglicher Hartschalenhelm mit Schutzklasse A)
- dann Gruppierung in "Unfall mit Belastung im von der Norm abgedeckten Bereich" (also Stürze aus dem Stand und Aufpralle mit Geschwindigkeiten bis 22 km/h) und "Unfall mit die Norm ünersteigenden Belastung" - jeweils für die beiden Schutzklassen
Die Schutzwirkung bei Unfällen im von der Norm abgedeckten Bereich wäre voraussichtlich überwältigend. Dass ein Helm, der für 22 km/h ausgelegt ist, bei 66 km/h deutlich weniger schützt, ist jedenfalls kein Argument gegen den Helm. Bei 66 km/h ist die kinetische Energie übrigens neun(!)mal so hoch wie bei 22 km/h ... das entspricht einem Sturz aus etwa 18m Höhe anstatt aus 2m wie bei 22 km/h.
Wenn jemand mit 120 Sachen gegen einen Brückenpfeiler rast und trotz Knautschzone, Gurt und Airbag an seinen inneren Verletzungen stirbt, sagt ja auch niemand "da siehste, nützt eh nichts, kannste gleich ohne Gurt fahren"
Zuletzt geändert von plateaucarver am 10.09.2012 11:19, insgesamt 2-mal geändert.

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von saschad74 » 10.09.2012 10:35

Zum Rest nehme ich später (vielleicht auch erst morgen) Stellung, aber hier nur kurz dazu:
plateaucarver hat geschrieben:
saschad74 hat geschrieben:wo genau finde ich Zahlen zur Helmtragequote in diesem Zeitraum von Skifahrern und Snowboardern, aufgebrochen nach Geschlecht?
Habe ich leider auch vergeblich gesucht :cry:
Ähm, Du schriebst doch hier:
plateaucarver hat geschrieben:Das wird auch durch den von dir erwähnten Anstieg der Kopfverletzungen bei Snowboarderinnen unterstrichen, denn bei denen hat - anders als bei Skifahrerinnen - die Helmtragequote nicht wesentlich zugenommen. Die Skifahrerinnen haben das gestiegene Verletzungsrisiko durch einen starken Anstieg der Helmtragequote kompensiert und so den Anteil der Kopfverletzungen konstant gehalten.
Du musst doch diese Aussage auf Basis irgendeiner Grundlage getätigt haben, oder war das einfach so "aus dem Bauch heraus"?

Gruß,
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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von plateaucarver » 10.09.2012 11:27

saschad74 hat geschrieben:Du musst doch diese Aussage auf Basis irgendeiner Grundlage getätigt haben
http://www.oesv.at/media/media_breitens ... 008_09.pdf - Seite 9, im Text heißt es:
"Der Anteil an Helmträgern ist seit der Vorsaison gestiegen, generell bei Frauen und besonders
bei den Skifahrerinnen" - wenn der Anstieg auf Frauen und besonders Skifahrerinnen zurückzuführen ist, dann kann die Quote bei Männern und Snowboardern sowie Snowboarderinnen kaum gestiegen sein.

Zahlen von 2009 gibt es z.B. hier (sehr interessante Arbeit "Prävention von Kopfverletzungen im Ski- und Snowboardsport" von 2009), S. 24: "Laut der Erhebung gibt es Unterschiede zwischen Schifahrern/innen und Snowboardern/innen. Demnach tragen mehr Schifahrer/innen (59 Prozent) als Snowboarder/innen (55 Prozent) einen Helm."

Ein Jahr später gibt es solche Unterschiede offensichtlich nicht mehr: [https://www.thieme-connect.de/ejournals ... 28-1110011]"Keine Unterschiede in der Helmtragequote konnten hinsichtlich Geschlecht, Sportgerät und des Risikoverhaltens festgestellt werden."[/url]

Die häufigeren Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen bei Snowboardern sind auch darauf zurückzuführen, dass diese mehr in Pipes und Funparks unterwegs sind als Skiläufer - es liegt also nicht nur an der geringeren Helmquote.
Zuletzt geändert von plateaucarver am 17.09.2012 17:01, insgesamt 3-mal geändert.

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