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Tom
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Beitrag von Tom » 22.03.2002 18:03

Wäre der Snowboarder ein Biathlet, dann wäre er längst tot. In diesem
Fall müsste er nämlich zum Beispiel nach Oberhof und dort im Weltcup
antreten. Oberhof, das hieße fünf Tage lang unbarmherzige Beschallung
mit Stimmungsmusik der übelsten Sorte. Morgens, mittags, abends, ob beim
Wettkampf,bei den Siegerehrungen, im Festzelt oder in den einschlägigen
"Erlebnisgaststätten": Dudelfunk geballt, Hände zum Himmel, Hölle auf
Erden. Wer als normaler Mensch nach Oberhof kommt, der verlässt es nach
dieser musikalischen Gehirnwäsche als Thüringer. Thüringische
Snowboarder? Undenkbar.
Wäre der Homo lufticus also ein Homo loipicus militaris, er würde
allerspätestens am zweiten Tag sein Gewehr nicht mehr auf die kleinen
Zielscheibchen richten, sondern gleich auf die Konkurrenten, sich
selbst, auf alles, was sich bewegt, und besonders auf alles, was da
schallt. Doch zum Glück ist der Snowboarder weder loipicus noch
militaris, verirrt sich daher nur höchst selten nach Thüringen und übt
seine Profession zu gänzlich anderen Klängen aus. Sogar ins
mormonenumzingelte Park City wurde eine Live-Band herbeigeschleppt, die
den olympischen Höhenflug in der Halfpipe mit unglaublich lautstarken
Rhythmen versah, wie sie in Oberhof die sofortige Verbannung nach
Zella-Mehlis und Zwangsarbeit nicht unter zwei Jahren in den nahe
gelegenen unterirdischen Christstollenfabriken nach sich gezogen hätten.
Solchermaßen inspiriert, schraubt sich der Homo lufticus mit seinem
Brett derart gewagt in die luftigsten Höhen und vollführt dort solch
turbulente Verrenkungen, dass bei Olympia selbst dem 91-jährigen
Oberpropheten aller Mormonen vor dem Fernsehgerät
angst und bange wurde. "Da wird sich noch mal einer den Hals brechen":
prophezeite der Prophet, fand die Sache aber trotzdem ganz toll.
Der Homo lufticus ist eine verhältnismäßig neue Komponente winterlichen
Sportlerwesens und entstand merkwürdigerweise tatsächlich im frommen
Utah. "Schluss mit der Vielbretterei" dachte sich offensichtlich ein
innovativer Bewohner dieses wohlerzogenen Staates, warf den überzähligen
Ballast fort und erfand das monogame Skifahren. Er riss den nächstbesten
Baum aus, schreinerte sich ein hübsch breites, aber nicht zu langes
Brett, schmierte ein paar Graffiti drauf, legte sich eine schräge Frisur
zu, drehte sich eine ordentliche Tüte, setzte ein breites Lächeln auf -
fertig war der Homo lufticus, an dessen Erscheinungsbild sich seitdem
nicht allzu viel geändert hat.
"Fun, fun, fun" lautet die vorrangige Devise des Snowboarders, auch wenn
er sonst mit den Beach Boys nichts zu tun haben will und "Pet Sounds"
gemeinhin nicht für die beste Platte des letzten Jahrhunderts hält.
Dafür gibt es aber auch kaum einen Rockkritiker, der einen sauberen Back
Flip hinkriegt. Seinen Spaß trägt der Homo luftlcus vor sich her wie der
Kreuzritter einst sein Schwert, lacht sich kaputt, wenn er auf dem
Allerwertesten landet, und feiert umso heftiger, wenn er Letzter wird.
Eine kleine verschworene Gemeinschaft von Partylöwinnen und -löwen, die
mit ihrer ebenfalls snowboardenden Anhängerschar bei
konspirativen X-Games Riesenhappenings feiern und keineswegs nur aus den
Freak-Hochburgen USA, Frankreich, Russland oder Deutschlanci stammen,
sondern aus obskuren Regionen, -wo man derart hippe Gestalten kaum
verrmuten würde, wie Ukraine, Tschechien, Finnland, Schweiz. Thüringen?
Fehlanzeige. Da sind sogar die Rotgefärbten entweder Biathletinnen oder
Kombinierer.
In der Lufticus-Szene aber hätte man sich lieb und wäre hypercool bis in
alle Ewigkeit, gäbe es da nicht die Dollars, die dank Olympia immer
üppiger fließen. Anstatt weiterhin die Botschaft von Frohsinn und
Outlawtum zu verbreiten, dienen sich die ersten Exemplare den Sponsoren
und Medien bereits als brave, ernsthafte, geläuterte
Hochleistungssportler an, die nichts so sehr verabscheuen wie den Konsum
dieses scheußlichen Marihuanazeugs. Und nicht alle grinsen dabei so
breit wie Bad Boy Danny Kass, der Silbermedaillen-Schwerenöter mit der
verwesenden Leiche im Wappen, der sich vorerst noch gegen die Wandlung
zum Homo lufticus domesticus sträubt.

Matti Lieske http://www.taz.de

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