Gegenrotation im alpinen Ski-/Rennlauf

Alles zur Skitechnik. Siehe auch Berichte Carving- und Ski-Lehrplan, sowie Besser Skifahren für Fortgeschrittene
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LincolnLoop
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Beitrag von LincolnLoop » 09.01.2008 23:46

Moorkuh hat geschrieben:Das ist einfach: Weil du den gesamten Körper kippen mußt und, kurz gesagt, viel mehr Masse viel weiter bewegen mußt. Dein Oberkörper wiegt einiges, und du mußt ihn nach links, dann nach rechts, dann nach links, dann nach rechts, .... kippen, und die Massenträgheit bedingt, dass du dafür viel Kraft brauchst (da du jedes Mal neu beschleunigen mußt und Kraft ja bekanntlich Masse mal Beschleunigung ist!).
Bewegst du deinen OK nur wenig, brauchst du die Trägheit nicht bei jedem Schwung neu zu überwinden, was viel schneller geht. Das ist, hoffe ich, physikalisch völlig einleuchtend.
Du könntest es auch andersherum sehen: Kippst Du in die Kurve ein, so musst Du beim Fahren mit Hüftknick den Oberkörper "draußen" lassen. Beim ganzkörperorientierten Fahren sackt das ganz System einfach nach innen (ohne dass man groß dagegenhalten muss).
Moorkuh hat geschrieben:Bei gleicher Fliehkraft kannst du mit Hüftknick einen höheren Aufkantwinkel fahren (und damit sogar den Kurvenradius verengen und damit noch mehr Fliehkraft erzeugen, wodurch du noch ein Stück mehr aufkanten kannst, ...).
Das ist grundsätzlich richtig. Ich frag Dich jetzt aber mal ganz ehrlich (und bitte nicht lügen!): Ist bei Dir wirklich die Fliehkraft der limitierende Aufkantfaktor? (anders gesagt: Würdest Du - wenn Du den Oberkörper auch nur ein bisschen weiter nach innen lehnen würdest - umfallen?)
Moorkuh hat geschrieben:Weil man eben den Oberkörper nicht (so weit) hin- und herneigen muß. Du mußt jedes mal Arbeit in das Neigen des OK stecken, bei jedem Schwung. Das kostet Zeit UND Energie!
Dann frag mal bitte jemanden (am besten Ü50-Alter), ob er einen Hüftknick wirklich "kraftsparender" findet! (P.S: Martina hat mal etwas dazu geschrieben, wenn ich mich recht erinnere)
Moorkuh hat geschrieben:Deine praktische Übung ist also fürs Skifahren relativ irrelevant.
Weißt Du, was eine der geilsten Dinge beim Skifahren ist? Du neigst Dich und die Welt neigt sich mit! Will heißen: Natürlich geht die Kraft zu Seite - aber Du neigst Dich ja auch! Ausgehend vom System "menschlicher Körper" (zufällig schonmal was von Koordinatentransformation gehört?) geht die Kraft sehr wohl "nach unten"! (sehr schön zu sehen anhand des roten Pfeiles in Deiner Zeichung, der ziemlich genau in Richtung der Körperlängsachse zu zeigen scheint... :wink: )

Gruß, Chris
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Martina
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Beitrag von Martina » 10.01.2008 10:11

Wenn ich die letzten Seiten lesen, denke ich, dass wirklich ein Begriffswirrwarr beim Thema "taloffen" herrscht. Und wie Yeti irgendwo geschrieben hat, ist es heikel (aber natürlich nicht völlig daneben), das Thema aufgrund von Fotoszu diskutieren. Diese sind immer eine Momentaufnahme und man kennt die Begleitumstände nicht (ist das nun der Anfang der Steuerphase, also die Hüfte noch in der "alten" Richtung, ist es Mitte Steuerphase, kann man also davon ausgehen, dass die Hüfte bewusst nicht mitgenommen wird (Gegendrehen) oder ist es Ende Steuerphase und man kann die Position der Hüfte als Vororientierung der nächsten Kurve interpretieren?).

Ich kann vielleicht nocht etwas zu Marc Berthod anfügen: Er ist als Kind beim skifahren dadurch aufgefallen, dass er den ganzen Körper mitgedreht hat, immer in Richtung Ski ausgerichtet war. Das war damals noch verpönt. Es war ganz am Anfang der Carvingzeit, ich glaube, es gab noch gar keine Kindercarver (1992?). Sein Trainer führte es u.a. darauf zurück ,dass er ein guter Schlittschuhläufer war (er spielte Eishockey) und einfach ein enorm gutes Gefühl für die Sache hat.
Ich trainierte damals im Herbst jeweils eine Woche in einem Skilehrerkurs. Dieser wurde parallel zur Trainingswoche des Engadiner Nachwuchses geführt. Es gab zwei Trainer, beide haben sowohl die Kinder als auch den "Skilehrernachwuchs" trainiert. Uns wurde viel anhand der Technik der Kinder gezeigt. Sie fuhren sehr unterschiedlich, aber fast alle äusserst gut. Ihre Technik war recht unterschiedlich und die Trainer legten Wert darauf, dass jeder die für ihn ideale Technik entwickeln könnte.
Das "Mitdrehen" zeigten aber fast alle, es war neu damals. Die Trainer hielten es für sinnvoll, auch wenn die Kinder noch nicht die guten Ski dafür hatten.
Dass es eine ineffiziente Technik ist, wie jemand hier behauptet hat, stimmt ganz einfach nicht. Und gerade, weil das Fahren mit einer Körperposition, die (fast) immer in Fahrtrichtung der Ski gerichtet ist, quasi ein "Markenzeichen" von Marc Berthod ist und schon immer war, wehre ich mich dagegen, wenn behauptet wird, er würde "taloffen" fahren. Natürlich gibt es Sitiuationen, wo es erforderlich ist und natürlich hat er es drauf - aber es ist nicht typisch.
Nebenbei: von den Kindern von damals punkten schon einige im Weltcup und man wird von weiteren noch hören, behaupte ich jetzt mal...

karntnerbua
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Streit um Kaisers Bart

Beitrag von karntnerbua » 10.01.2008 11:25

Auch wenn wir keinen mehr haben, aber es wird darum gestritten: des Kaisers Bart.

zum Foto Berthod: meines Erachtens kein guter Schwung, ziemlich verdreht, vermutlich das Tor zu früh angefahren, daher auch ein schlechtes Beispiel, wenn es nachher steil ist, wird er die Linie verlieren ... Auch sehr gute Rennläufer machen sauschlechte Schwünge ...

zum Thema Achsenparallelität: es meinen alle dasselbe, verdrehte Haltungen sind nicht förderlich, es geht um natürliches und bewegungsbereites Fahren; natürlich sind in der Praxis nie alle Achsen parallel, genausowenig wie es wirklich perfekte Schwünge gibt. Gerade wenn die Achsen halbwegs parallel sind bin ich aber jederzeit in der Lage die Bewegung zu adaptieren, also bewegungsbereit! Ich verstehe nicht, warum immer kolportiert wird, das eine taloffene Stellung verdreht wäre?

Zum Thema Kinder: sie können sich die Technik der Innenlage und des Mitdrehens des Beckens mit dem Schwung leisten, da das Tempo und die Kräfte / Gewicht viel geringer sind. Ich sage einmal, ca. 80 % der Kinder zu Beginn auch diese Technik fahren. Es ist durchaus richtig, dass die Schwünge mit Innenlage sehr schnell sind, auch in Verbindung mit dem nach Hinten gehen beim Schwung, aber wenn du dann die wilden Abflüge und Piroutten der Kinder siehst, spätestens dann wird jeder bemerken, dass es bei Schwüngen mit mitrotierendem Becken ("Mitrotation") eben Grenzen der Einsetzbarkeit schon bei den Kleinen gibt. Was hat man von Zwischenzeitweltmeistern? Wenn es bei 8-jährigen ev. funktioniert, funktioniert es noch lange nicht bei 25-jährigen Vollprofis.

zum Thema Rennlauf (und um den geht es hier!): Will man halbwegs ohne groben Fehler bei einem SL/RTL durchkommen, ist die Gegenrotation die einzige Möglichkeit. Daher wird sie auch von allen angewendet. Der Großteil der Ausfälle bei WC-Slaloms beruht auf das zu frühe Mitrotieren des Beckens, wodurch sie schlicht und einfach wegrutschen (O-Ton Fernsehen: am Schischuh ausgerutscht, zu früh Innenschi belastet -- Beides übrigens ein Quargel ...) oder die Linie verlieren und danach Fehler machen. Die Gegenrotation ermöglicht erst den Druck auf den Talschi und wir brauchen im Rennlauf eben mehr Druck am Talschi. Wer am Talschi steht hat kein Boot out (außer er streift schon mit dem Innenknie im Schnee).

Beobachtet einmal im Flachen wie direkt gesetzte Tore / Vertikalen gefahren werden: es scheint so als ob der Oberkörper sich nicht bewegt und immer in der selben Position bleibt, die Bewegung erfolgt unten, klassische Gegenrotation ...

zum Thema mitrotierendes Becken: probiert den Unterschied einfach in der Buckelpiste (ordentlich mit Full-Speed) aus, einmal "Taloffen", einmal mit Innenlage und mitrotierendem Becken; ihr werdet mit der Variante 2 massive Probleme haben, zumindestens spätestens dann, wenn es unrythmisch wird.

ich werde einmal im Fundus krammen, vielleicht finde ich ein paar Fotos und Videos die zeigen, was bei Mitrotation passiert .... Genaugenommen braucht sich aber jeder nur vor den Fernseher klemmen und nüchtern die Ausfälle analysieren ....

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Lothar
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Beitrag von Lothar » 10.01.2008 12:23

Ich versuche der Fachdiskussion so es mir möglich ist zu folgen, was mich zu dem Thema jetzt wirklich mal interessieren würde wäre ein Kommentar eines Rennläufers/Rennläuferin, liest hier einer mit? Nicola?

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Moorkuh
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Beitrag von Moorkuh » 10.01.2008 12:30

Wir können die Diskussion ganz einfach beenden:

Wer von euch ein (von einem Erwachsenen) gefahrenes Video auftreiben und hier zeigen kann -- woher auch immer! -- wo ein Kurzschwung durchgängig ohne taloffene Stellung gefahren wird, dem schenke ich ein Ski-Buch oder eine DVD nach Wunsch, wenn geht über Amazon oder ähnliches.

Bedingungen sind: Kurzschwung (dh. schneller als 1 Richtungsänderung pro Sekunde), Hüfte schaut durchgehend während der gesamten Fahrt (die aus mindestens 15 Richtungsänderungen=Schwüngen besteht) in Fahrtrichtung der Ski (+/- 5°).

Zeigt mir das hier und ich -- und sicher auch der Karntnerbua -- sind völlig überzeugt, dass das eine gute Technik ist.

Mehr sag ich zu diesem Thema nicht mehr, bevor so ein Video hier ist; solange es nicht hier ist, sehe ich als Naturwissenschaftler die These, dass mitrotieren eine ineffiziente (und für schnelle Schwünge unmögliche und daher im Rennlauf nicht gefahrene) Technik ist, als im popperschen Sinn korrekt an.

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Beitrag von Martina » 10.01.2008 12:48

Meines Erachtens sind hier schon einige Bilder gezeigt worden, auch wenn du es anders siehst. Ich finde deine eingezeichneten Pfeile nicht korrekt. Aber eben, bei Bildern ist es so eine Sache...
Moorkuh hat geschrieben: Wer von euch ein (von einem Erwachsenen) gefahrenes Video auftreiben und hier zeigen kann -- woher auch immer! -- wo ein Kurzschwung durchgängig ohne taloffene Stellung gefahren wird, dem schenke ich ein Ski-Buch oder eine DVD nach Wunsch, wenn geht über Amazon oder ähnliches.

Bedingungen sind: Kurzschwung (dh. schneller als 1 Richtungsänderung pro Sekunde), Hüfte schaut durchgehend während der gesamten Fahrt (die aus mindestens 15 Richtungsänderungen=Schwüngen besteht) in Fahrtrichtung der Ski (+/- 5°).
Das gibt es hier irgendwo im Forum - gefahren von Nicola.

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Beitrag von Moorkuh » 10.01.2008 12:59

Martina hat geschrieben:Das gibt es hier irgendwo im Forum - gefahren von Nicola.
Wer das Video findet und hier verlinkt und wenn es meine Bedingungen erfüllt, kann sich schon einmal überlegen welches Buch oder welche DVD es sein soll.

(Übrigens ist dein Lehrvideo (Kurzschwung) extrem taloffen gefahren, die Frage ist: Warum?)

Fotos zeigen leider nicht viel.

Martin
Zuletzt geändert von Moorkuh am 10.01.2008 13:03, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitrag von Martina » 10.01.2008 13:02


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Beitrag von Moorkuh » 10.01.2008 13:07

Das ist *kein* Kurzschwung, dh. hier wird sicher mit einer Frequenz, die geringer als 1 Schwung/Sekunde ist, gefahren. (auch erkennbar daran, dass die Schwünge praktisch durchgecarvt sind, ein Kurzschwung hat eine Driftkomponente!)
Abgesehn davon habe ich die "Hüftknickbedingung" vergessen -- das wird ja mit Ganzkörperinnenlage gefahren. Dh. leider muß ich eine Bedingung hinzufügen: Mit Hüftknick gefahren (darum gings ja die ganze Diskussion lang).

Dh. folgende Bedingungen:
1) Kurzschwung (mehr als 1 Schwung/Sekunde)
2) Hüftknick
3) Mindestens 15 Schwünge
4) Hüfte schaut die ganze Fahrt über auf 5° genau in Fahrtrichtung

Dieses Video erfüllt nur maximal Bedingung 4.

Martin

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Beitrag von Herbert Züst » 10.01.2008 13:08

Das ist aber kein Kurzschwung, beim Kurzschwung im Steilen ist die Situation schon anders und dieses Video kann ich mir auch nicht vorstellen.

Gruss Herbert

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