Tiefentlastung - Variationen

Alles zur Skitechnik. Siehe auch Berichte Carving- und Ski-Lehrplan, sowie Besser Skifahren für Fortgeschrittene
chianti
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Re: Tiefentlastung - Variationen

Beitrag von chianti » 11.09.2010 00:34

Ich versuche jetzt mal, die Bewegungen, die in diesem Thread als Hoch- oder Tiefentlastung bezeichnet wurden, darzustellen. Es geht um gecarvte Schwünge, bei denen sich von oben gesehen der Körperschwerpunkt auf der orangen Linie und die Ski auf der blauen Linie bewegen, also eine Schräglage eingenommen wird (gilt analog auch für nicht "sauber" gecarvte, gedriftete Schwünge mit Schräglage wie im Rennsport):
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Beim Wechsel des Körperschwerpunkts über die Fahrlinie der Ski kann sich der Körperschwerpunkt dabei heben (obere Grafik, dies entspricht der von Martin als "Hochentlastung" bezeichneten Bewegung auf dem Bode-Miller-Video) oder etwa auf der gleichen Höhe bleiben (untere Grafik, entspricht dem Phasenphoto im Eröffnungsposting und vermutlich dem, was auf Epicski als "Tiefentlastung" bezeichnet wird)
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obere Bewegung: Hochgehen durch Körperstreckung, dies kann durch Auflösen der Skidurchbiegung unterstützt werden ("Rebound"). Vorteil: Aufbau von Lageenergie, die durch anschließendes Tiefergehen als zusätzliche Kraft auf die Ski gebracht werden kann -> stärkeres Durchbiegen der Ski und engerer Kurvenradius bei höherer Geschwindigkeit möglich. Nachteil: benötigt Zeit und Kraft (jeder, der mal 500 Höhenmeter am Stück in langen Schwüngen bei hohem Tempo gecarvt ist, der weiß, dass diese Fahrtechnik mit Kniebeugen mit Langhantel vergleichbar ist, s. auch http://www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbei ... 07_eis.jsp: bei nur 30 km/h über 1,5 g) Praktikabel daher am ehesten im Riesenslalom, Super-G und Abfahrt.

untere Bewegung: Kein Hochgehen, sondern "durchpendeln" ("cross-under/through") der Ski unter dem möglichst stabil gehaltenem Oberkörper durch Anziehen der Beine, auch hier (je nach Fahrsituation) unterstützt durch den Rebound der Ski ("flexion turn"). Vorteil: schneller Übergang zum nächsten Schwung, weniger Kraftaufwand. Nachteil: kein Aufbau von Lageenergie.

beide Bewegungen sind ohne oder mit Entlastung möglich, d.h. so, dass während des Richtungswechsels (d.h. in der mittleren Position der Grafik) das volle Körpergewicht auf dem Ski liegt oder weniger (z.B. am Ende einer entsprechend schnellen Körperstreckung, durch Beineanziehen oder Rebound), eine Entlastung muss dabei nicht immer beabsichtigt sein -- man nennt das dann "Ausheben" :wink:

und, um das noch einmal klarzustellen: diese -- in der jeweiligen Situation -- zweckmäßigen Bewegungen haben mit den überflüssigen Vertikalbewegungen, die früher als Hoch- oder Tiefentlastung zur Schwungauslösung gelehrt wurden, nichts zu tun!

Ebensowenig wie mit dem Wegdrücken von Bodenwellen wie von Math erwähnt!
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Re: Tiefentlastung - Variationen

Beitrag von NeusserGletscher » 11.09.2010 08:15

Hi,

in diesen zweidimensionalen Betrachtungen wie übrigens auch in diversen Messungen zur Druckverteilung fehlt die dritte Dimension. Die Hochentlastung ist mit ihrem kleinen Bruder, dem "Tiefergehen", IMHO sowieso eines der größen Verbechen in der Ausbildung angehender Skifahrer. Jeder nicht mit den Skifahren vertraute Mensch und wahrscheinlich sogar noch immer die meisten Skifahrer verstehen unter "Hoch" eine Bewegung orthogonal zum Ski, im schlimmsten Fall zum Erdmittelpunkt. Das isses aber nicht!

In Wirklichkeit wandert der KSP im Verlauf der Kurve idealerweise weiter zum Kurvenmittelpunkt. Durch die auftretende Kraft kann er aber auch nach hinten wandern, wenn der Skifahrer unkonzentriert fährt oder auch nicht die nötige Kraft oder Technik hat, um dagegen zu steuern.

Zum nächsten Schwung wandert der KSP daher nicht einfach nur lateral über die Ski, sondern halt auch nach vorne! Dementsprechend darf eine Betrachtung der Druckverteilug auf den Ski sich nicht einfach nur auf Innen- oder Aussenski beschränken, sondern muß auch Schaufel, Zentral, oder eben Hinten mit einbeziehen.

Gruß

Peter
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Re: Tiefentlastung - Variationen

Beitrag von Moorkuh » 11.09.2010 10:00

axisofjustice hat geschrieben:Hochentlastung sehe ich da nach wie vor nicht. In den meisten Kurven zieht er die Beine zum Kurvenwechsel an und streckt sie nachher wieder aus. Der Oberkörper ist unruhig, aber geht nicht aktiv hoch, um am Ende der Aufrichtbewegung die Skier zu entlasten.
Der KSP geht hoch, das ist alles was zählt. Es stimmt, er zieht dazu auch etwas die Beine an, aus dem einfachen Grund nämlich, dass er im Kurvenwechsel nicht in Kurvenlage (=Schräglage) ist, das siehst du gut in der oberen Skizze von chianti: Ganz links und ganz rechts sind seine Beine gestreckter als in der Mitte (üblicherweise), aber sein KSP ist in der Mitte höher.
Bei einem Strecksprung kannst du auch die Beine anziehen (man nennt das dann Hocksprung) und niemand wird bestreiten, dass das eine klassische Hochentlastung ist, obwohl die Beine angezogen werden.

Martin

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Re: Tiefentlastung - Variationen

Beitrag von chianti » 11.09.2010 14:28

NeusserGletscher hat geschrieben:wandert der KSP im Verlauf der Kurve idealerweise weiter zum Kurvenmittelpunkt.
da würde ich kein allgemein gültiges Ideal postulieren, es kann je nach Fahrsituation auch eine starke Vorlage oder Rücklage wünschenswert sein. Nicht nur bei Kurzschwüngen wird ja z.B. im Rennsport bewusst diese Druckverteilung bzw. -verlagerung genutzt, um Schwünge zu steuern (und erst recht bei Multiradius-Ski). Grundsätzlich hat man aus der Mittelposition heraus aber das breiteste Bewegungsspektrum, um den Schwung zu beeinflussen.
NeusserGletscher hat geschrieben:Zum nächsten Schwung wandert der KSP daher nicht einfach nur lateral über die Ski, sondern halt auch nach vorne!
das muss nicht notwendigerweise der Fall sein, man kann bei entsprechender Skiquerbewegung (quer zum Verlauf des Körperschwerpunkts, s. orange Linie oben) auch mit starker Rücklage einen Schwung- und Richtungswechsel einleiten. Dies ist sogar bei Rücklage leichter möglich, da dann der Winkel zwischen der Hauptträgheitsachse von Ski und Skifahrer und der Drehachse der Bewegung nach innen (die beim Nach-innen-Fallenlassen ohne Hüftknick durch den gemeinsamen Schwerpunkt von Ski und Skifahrer in Fahrtrichtung verläuft) geringer ist als bei aufrechter Haltung. Diesen Effekt macht(e) man sich auch beim "Jetschwung" zunutze, der extrem schnelle Skidrehungen ermöglicht, er ist aber auch im Slalom zu beobachten, wo gerade aus der Rücklage heraus verblüffend schnelle Kantenwechsel machbar sind (wenngleich es wegen der Balance ein Ritt auf der Rasierklinge ist)
Moorkuh hat geschrieben:Der KSP geht hoch, das ist alles was zählt.
das macht aber noch keine Entlastung daraus... und darum würde ich nicht von der Vertikalbewegung auf den Druck- bzw. Kraftverlauf schließen. Das kann man nur mit Messungen feststellen.

Gruß, Ekkehard
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Re: Tiefentlastung - Variationen

Beitrag von Moorkuh » 11.09.2010 15:27

chianti hat geschrieben:die Begriffe Hoch- und Tiefentlastung sind wegen dieser "althergebrachten" Bedeutung der Vertikalbewegung sozusagen selbst "belastet"[/b] (welch hübsches Wortspiel). Um diese (wie sich herausgestellt hat) überflüssigen Bewegungen zur Schwungeinleitung nicht mit den Belastungs- bzw. Kraftveränderungen zur Schwungsteuerung zu vermischen, verwende ich sie ungern.
Ich hab mich jetzt doch recht eingehend mit den von dir geposteten Messungen beschäftigt, ich find sie unheimlich interessant.
Allerdings würde ich gerne die zugehörigen Aufnahmen der Fahrer sehen.

Ich habe versucht, etwas ähnliches aus Bodes Video herauszufiltern, das ist nicht leicht und nur schätzungsweise möglich. Allerdings stellt sich dort die Situation gänzlich anders dar:
Er entlastet hoch (überdeutlich, zu jedem Zeitpunkt des Videos, übrigens), wie man hier sehen kann:

[ externes Bild ]

Seriöserweise kann ich keinen Graphen zeichnen, der den Rotationswinkel der Ski genau angibt, was man aber sieht ist: Zwischen frame 9 und frame 11 werden die Ski extrem schnell gedreht. Und das sind gerade die frames, wo Bodes KSP sehr hoch ist. Davor rotieren die Ski praktisch gar nicht, sondern zeigen immer in dieselbe Richtung, danach drehen sie weiter, aber mit einer weitaus geringeren Winkelgeschwindigkeit. Dh. Winkelbeschleunigung und Winkelgeschwindigkeit werden in diesem Bereich (9-11) sehr groß. Das widerspricht den Messungen aus den 80ern eklatant.

Noch etwas widerspricht diesen Messungen:
Alle Fahrer im WC, EC etc. fahren so. Wäre das denn gänzlich unsinnig, würde man sich diese Arbeit sparen, immerhin hebt man seine geschätzten 80 kg bei jedem Schwung um sagen wir 40 cm. Da kommt in einem RTL schon etwas zusammen, die Kraft könnten sich Miller und Co dann ja besser sparen.
Hier die Grafiken, die zeigen, dass eine Höhenveränderung des Körperschwerpunkts keinen Einfluss auf die Schwungauslösung (also die Beschleunigung der Skidrehung) haben (aus G. Kassat, Schein und Wirklichkeit parallelen Skifahrens, Münster 1985)
Die Graphiken zeigen, dass bei diesen Messungen das herausgekommen ist. Mit damaliger Fahrtechnik (die nicht einmal gezeigt wird), damaligen Fahrern (wer?) und damaligem Material.
Ich bin (theoretischer) Physiker, Skifahrer und Skilehrer und ich behaupte als solcher: Zumindest Bode Miller fährt in diesem Schwung auf diesem Video so, dass er während der durch Hochentlastung entstandenen Entlastungsphase die Ski in Rotation versetzt.
interessant T6: obwohl während der beschleunigten Skidrehung tiefgegangen wurde, erfolgt keine Entlastung, sondern die Kraft bleibt fast konstant bei etwa 1 g bzw. 100%.
Ich frage mich hier, wo Newton sich geirrt hat.
Wenn der KSP tief geht -- what the f***?
Wie du selbst (glaub ich) bemerkt hast: Probier es auf der Waage aus. Geh tief und sag mir, was du siehst.
Ich verstehe diese Messungen irgendwie nicht und ich verstehe nicht, was ich da sehe. Ich vermute, dass ich nicht ganz verstehe, was da wirklich gemessen wurde, andernfalls machen die Messergebnisse keinen Sinn. Und ich glaube nicht, dass Skifahren nicht der Newtonschen Mechanik gehorcht.
Fazit: Vertikalbewegungen (die "klassische" Hoch- oder Tiefentlastung) haben keinen Einfluss auf die Skidrehung bei (gedrifteten) Parallelschwüngen und sind daher überflüssig zur Schwungeinleitung.
Sollte das stimmen, solltest du vielleicht das österr. Nationalteam trainieren. Die Kraftersparnis wäre immens und sie könntens nach dieser verpatzten Olympia-Saison gut brauchen. ;)

Ich geb gern zu: Ich versteh das nicht. Ich verstehe die Graphen nicht, ich vermute, ich interpretiere etwas falsch. Vielleicht fehlt mir auch einfach Information.

Ist die Kernaussage, dass man in einer Entlastungsphase nicht leichter dreht als in einer "normalen" Phase?

Martin

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Re: Tiefentlastung - Variationen

Beitrag von Moorkuh » 11.09.2010 15:29

Moorkuh hat geschrieben:Der KSP geht hoch, das ist alles was zählt.
das macht aber noch keine Entlastung daraus... und darum würde ich nicht von der Vertikalbewegung auf den Druck- bzw. Kraftverlauf schließen. Das kann man nur mit Messungen feststellen.
Nur, wenn
F=m * d^2/dt^2 x(t)
(Kraft = Masse mal Beschleunigung)
nicht mehr gilt.

Solange das noch gilt -- und ich gehe davon aus, dass sich das in den letzten 30 jahren nicht geändert hat -- ist das alles, was zählt.

Martin

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Re: Tiefentlastung - Variationen

Beitrag von chianti » 11.09.2010 22:21

Moorkuh hat geschrieben:Allerdings würde ich gerne die zugehörigen Aufnahmen der Fahrer sehen.
ich auch -- da das Ganze in dem zitierten Werk aber methodisch sauber beschrieben ist und der gute Herr Kassat zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Professor für Biomechanik und Bewegungslehre war (http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Kassat), glaube ich den Messergebnissen.
Moorkuh hat geschrieben:Die Graphiken zeigen, dass bei diesen Messungen das herausgekommen ist. Mit damaliger Fahrtechnik (die nicht einmal gezeigt wird), damaligen Fahrern (wer?) und damaligem Material.
Diese Info kann ich nachliefern: So erfolgte aus der Vielzahl möglicher Schwünge für diese Untersuchung eine Beschränkung auf Grundausführungen von Tief- und Hochschwüngen [nach dem DSV-Skilehrplan von 1981/82, E.] sowie auf Schwünge, bei denen ohne weitere Anweisung auf Vertikalbewegungen verzichtet werden sollte (Kurzbezeichnung: Normalschwung). Die Schwünge wurden von 13 Sportstudentinnen bzw. Sportstudenten ausgeführt. Alle besaßen eine langjährige Skierfahrung und hatten dann im Rahmen des Sportstudiums eine Grund- und Schwerpunktfachausbildung auf der Grundlage des Skilehrplans absolviert. Vor der Untersuchung wurde von einer erfahrenen Skilehrkraft, die von der Untersuchung unabhängig war, nochmals eine spezielle Schulung nach den Ausführungsbestimmungen des Lehrplans vorgenommen. [...] Markierung der Versuchspersonen: zugrundegelegt wurden die Erkenntnisse von Kalfhues (Die Projektion von Gelenkachsen auf die haut, DSHS Köln 1970) [...] Die Versuchsausführungen erfolgten in Badebekleidung (Kassat G, Schein und Wirklichkeit parallelen Skifahrens, Münster 1985, S. 127)

Zum Material: die Tatsache, dass alle Skifahrer, die auf den alten 2-Meter-"Bleistiften" Parallelschwünge und/oder Wedeln gelernt haben und die Schwünge technisch sauber bzw. sicher beherrschen, ohne Probleme oder Umstellung der Technik bzw. Bewegungsmuster die gleichen Schwünge mit Carvingski ebenso problemlos beherrschen, zeigt, dass es bei gedrifteten Schwüngen nicht darauf ankommt, ob man stark taillierte Ski fährt oder nicht (andernfalls wäre auch der Umsteig auf/von Powder-Ski nicht so einfach). Und die Tatsache, dass man während eines Schwungs sehr einfach vom Driften zum Carven wechseln kann und umgekehrt ("eindriften" und "auscarven" ebenso wie "eincarven" und "ausdriften") zeigt, dass auch bei Carven und Driften die grundsätzlichen physikalischen Prinzipien und Vorgänge dieselben sind und sich die Schwungsteuerung eigentlich nur im Grad des Auswärtsdriftens unterscheidet (Carving = 0).
Moorkuh hat geschrieben:
interessant T6: obwohl während der beschleunigten Skidrehung tiefgegangen wurde, erfolgt keine Entlastung, sondern die Kraft bleibt fast konstant bei etwa 1 g bzw. 100%.
Ich frage mich hier, wo Newton sich geirrt hat.
Wenn der KSP tief geht -- what the f***?
Wie du selbst (glaub ich) bemerkt hast: Probier es auf der Waage aus. Geh tief und sag mir, was du siehst.
Ich verstehe diese Messungen irgendwie nicht und ich verstehe nicht, was ich da sehe. Ich vermute, dass ich nicht ganz verstehe, was da wirklich gemessen wurde, andernfalls machen die Messergebnisse keinen Sinn. Und ich glaube nicht, dass Skifahren nicht der Newtonschen Mechanik gehorcht.
was Newton angeht, stimme ich mit dir überein. Was die Vergleichbarkeit von Badezimmerwaage und Kraftwirkungen während eines Skischwungs angeht, nicht :wink: Durch die Geschwindigkeit hat ein Skifahrer ja mehr Energie "gespeichert" als im Stillstand -- wie jeder weiß, der mal aus schneller Fahrt einen Not-Stopp gemacht hat: selbst wenn man beim Anhalten in die Knie geht (also "tiefentlastet"), verspürt man eine deutlich größere Kraft als das eigene Körpergewicht. Für Schwünge gilt analog das Gleiche: die Trägheitskraft, die durch die Richtungsänderung wirkt, kommt ja zum Körpergewicht noch dazu (und wird beim gedrifteten Schwung durch die Reibung etwas abgemildert). Ist das gleiche Prinzip wie die Querbeschleunigungen von über 3 g in der Formel 1 in manchen Kurven oder Steilwandfahren -- oder wie hier beim Eisschnellauf http://mulack-aufgaben.de/P11/Kreisbewegung.pdf Aufgabe 10: Kurvenradius ca. 32m und Geschwindigkeit ca. 50 km/h ergibt ca. 1,2 g (s. auch den bereits geposteten Link zu WDR Quarks). Natürlich bewirkt ein Tiefgehen bei Geradeausfahrt eine Entlastung auf unter 1g (das zeigen ja auch die Messergebnisse von G. Kassat), aber es ging ja um die Belastung während des Schwungs.
Moorkuh hat geschrieben:Alle Fahrer im WC, EC etc. fahren so. Wäre das denn gänzlich unsinnig, würde man sich diese Arbeit sparen, immerhin hebt man seine geschätzten 80 kg bei jedem Schwung um sagen wir 40 cm. Da kommt in einem RTL schon etwas zusammen, die Kraft könnten sich Miller und Co dann ja besser sparen.
die Antwort, warum Rennläufer zwischen den Schwüngen trotz des höheren Luftwiderstands mit dem Körperschwerpunkt hochgehen, wurde schon gegeben:
Math hat geschrieben:jeder rennläufer baut in der kurve geschwindigkeit ab (im steilen RTL ca. 20km/h bei jeder Kurve) man beschleunigt dafür wie verrückt zwischen den Kurven. D.h. [es] werden extreme Kurvenlagen gefahren und Radien verkürzt damit man so schnell wie möglich wieder gerade fahren kann
chianti hat geschrieben:Vorteil: Aufbau von Lageenergie, die durch anschließendes Tiefergehen als zusätzliche Kraft auf die Ski gebracht werden kann -> stärkeres Durchbiegen der Ski und engerer Kurvenradius bei höherer Geschwindigkeit möglich.
Aus dem gleichen Grund sollen im Rennsport Rocker ja nicht gerade selten sein...
Moorkuh hat geschrieben:Ist die Kernaussage, dass man in einer Entlastungsphase nicht leichter dreht als in einer "normalen" Phase?
das trifft es ziemlich genau. Die Kernaussage ist, dass der Schwung dadurch eingeleitet wird, dass bei Schrägfahrt auf der Kante 1. der Kantenwinkel verringert wird bis zur Flachstellung und zum Kantenwechsel, dies führt mit 2. dem Aufbau seitlich auf die Ski wirkender Kräfte durch Verlagerung des Körperschwerpunkts zur Kurveninnenseite oder/und seitlichen "Drehmomentreaktionen" (durch Hüftknick, früher war der Begriff "Fersenschub" mal gebräuchlich) zum "Einwärtsdriften", also dem Abrutschen der Skispitzen in Richtung Falllinie (wie beim Carving auch) -- und dass dies nicht durch Entlastung, also weniger Gewichtskraft auf dem Ski, begünstigt wird. (Bei einem klassischen Hochschwung überspringt man quasi das Einwärtsdriften, man springt sozusagen auf die Innenkante des eingeleiteten Schwungs und setzt ihn mit dem Auswärtsdriften fort. Die Skidrehung ist dadurch aber nicht schneller als beim Tiefschwung oder Normalschwung, s. Grafiken.)

In aktuellen Lehrplänen oder -schemata spielt die "Entlastung" bei der Schwungeinleitung daher auch keine Rolle mehr:
[ externes Bild ]
(Zitat aus SnowSport 4/2006-07 S.11, http://jkarl.de/sportarten/Fahrphilosophie_aktuell.pdf)

Gruß, Ekkehard

P.S.: mir fällt auf, dass skilehrende Forumels, die sonst gerne was zur Skitechnik schreiben, in diesem Thread auffällig zurückhaltend sind. Woran liegt's? Zu akademisch/physikalisch? Zu wenig relevante Diskussion? Zu großer Widerspruch zu dem, was man gelernt hat oder lehrt? Sonstiges?
Zuletzt geändert von chianti am 12.09.2010 18:47, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Tiefentlastung - Variationen

Beitrag von chianti » 11.09.2010 23:51

hier noch die Kernaussagen von G. Kassat:

Gegenüber der Vorrangstellung, die den Vertikalbewegungen in den Skilehrplänen (von 1982!!!) und in der praktischen Schulung eingeräumt wird, ist es offensichtlich , dass die vermeintlichen Be- und Entlastungsverhältnisse bei Schwüngen ein ungeklärtes Problem sind. [...] Es besteht natürlich kein Zweifel, dass Be- und Entlastungen von irgendeiner Größe bei jedem Schwung vorkommen und dass sie durch Vertikalbewegungen induziert oder verstärkt werden können. In der Praxis wird aber andererseits von einer großen Anzahl der Skifahrer mühelos paralleles Skifahren ohne Vertikalbewegung demonstriert.

Zu klären ist allein die Frage, ob es einen Sinn hat, durch Vertikalbewegungen Belastungsveränderungen vornehmen zu wollen. Andernfalls können die bisher vorgeschriebenen Hoch-Tiefbewegungen, sofern sie nicht ein Ausgleichen des Geländes oder das Erreichen einer bestimmten Position bewirken sollen, als sinnlos und hinderlich entfallen.
(Kassat G, Schein und Wirklichkeit parallelen Skifahrens, Münster 1985, S. 16)
[...]
Die durch die Tiefbewegung induzierte Entlastung liegt immer vor dem Drehbeginn der Ski. Schon bei Drehbeginn tritt bereits wieder Belastung auf, die über ei.en größeren Teilabschnitt der beschleunigten Skidrehung anhält. [...] Während des Übergangs von Belastung zu Entlastung ist kein Einfluss auf die Drehbeschleunigung der Ski sichtbar.
(Kassat G, Schein und Wirklichkeit parallelen Skifahrens, Münster 1985, S. 19)
[...]
Die ausgewerteten Tief- und Hochschwünge zeigen bei gleichartiger beschleunigter Skidrehung völlig unterschiedliche Be- und Entlastungen durch Vertikalbewegungen. Die Entlastungen können im Hinblick auf die Skidrehung keineswegs als notwendig oder hilfreich interpretiert werden, da nicht vermutete zusätzliche Belastungen keineswegs negativen Einfluss auf die Skidrehung haben.
(Kassat G, Schein und Wirklichkeit parallelen Skifahrens, Münster 1985, S. 22)
[...]
Besonders aufschlussreich ist ein theoretischer Vergleich der Druckverhältnisse unter den Ski für zwei Personen, die den gleichen Ski fahren, die fahrtechnisch gleich gut sind und die auch gleiche eventuell notwendige Muskelkräfte zur Drehung der Ski besitzen. Die eine Person sei doppelt so schwer wie die andere. Wenn nun die schwerere Person durch eine Vertikalbewegung eine Entlastung von 50% bewirkt, so sind die Druckverhältnisse unter den Ski die gleichen, wie die bei der leichteren Person ohne Entlastung. Da es für das Drehen der Ski aber überhaupt nicht relevant sein kann, auf welche Weise ein bestimmter Druck unter dem Ski entstanden ist, wäre es unsinnig, wenn die leichtere Person auch noch eine Entlastung erreichen wollte. Eine prozentuale Entlastung durch die Schulung gleichartiger Vertikalbewegungen kann also nicht begründet werden.
(Kassat G, Schein und Wirklichkeit parallelen Skifahrens, Münster 1985, S. 25)

Anm.: aus dem gleichen Grund sollte man sich meiner Meinung nach bei der Wahl der Skilänge am Körpergewicht orientieren und nicht an der Körpergröße -- E.
[...]
Für alle Tief- und Normalschwünge vollzieht sich die Skidrehung im Zusammenhang mit Seitbewegungen der Ski (Drehseitbewegungen). [...] Die kontinuierliche Seitverlagerung des Körperschwerpunkts gilt ohne Ausnahme für alle Schwünge über den ganzen Zeitraum der beschleunigten Skidrehung. zu betonen ist, dass ein Seitfallen des Körpers bei allen Schwüngen, einschließlich der Hochschwünge, immer schon vor Drehbeginn erfolgt. [...] Wenn durch Drehmomentreaktionen seitwärts (Hüftknick, E.), Seitfallen oder "Fahrtwucht" (Trägkeitskraft, die durch die Bindungsposition hinter der Skimitte ein Drehmoment bewirkt, analog zum Ausbrechen eines Autos mit schwerem Heck -- E.) eine Seitbewegung bewirkt, entsteht automatisch eine Drehseitbewegung; die Skidrehung ist in die Seitbewegung gesetzmäßig integriert.
(Kassat G, Schein und Wirklichkeit parallelen Skifahrens, Münster 1985, S. 50ff.)

d.h.: da die Bindung hinter der Skimitte angebracht ist, versetzt jede seitlich auf die Bindung wirkende Kraft den Ski in Drehung, auch wenn die Ski nicht "entlastet" sind -- E.
Zuletzt geändert von chianti am 12.09.2010 18:56, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Tiefentlastung - Variationen

Beitrag von Moorkuh » 12.09.2010 00:42

Bist du schon einmal in folgenden Situationen gefahren:

* Schwerer (nasser) Tiefschnee
* Dasselbe ohne Stöcke
* Schwerer Pistenschnee (im Frühjahr) auf einem Ski

Wenn das der Fall ist weisst du, dass entweder diese Versuche unter uns nicht bekannten Umständen ausgeführt wurden (schlechte Fahrer, schlechte Messung, eigenartige Fahrverhältnisse) oder dass du hier etwas falsch interpretierst.
Nur, weil bei diesen Fahrern und diesen Messungen etwas nicht vorgekommen ist, heißt das nicht, dass es nicht das Fahren erleichtert oder bei anderen Fahrern und anderen Umständen auftritt.

Ich werde aber gerne morgen etwas genauer drauf eingehen.

Martin

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Re: Tiefentlastung - Variationen

Beitrag von LincolnLoop » 12.09.2010 03:54

Recht unübersichtlicher Thread, ein paar Gedanken...:

1. Wie Martin richtig erwähnt hat, ist ein isoliertes Beugen und Strecken der Gelenke für die Be- oder Entlastung irrelevant. Entscheidend ist die Veränderung des KSP. Aus diesem Grund sind alle gezeigten Bilder und Videos eine Hochentlastung und aus dem selben Grund gibt es im "modernen" Skisport nichts, was funktionell eine Tiefentlastung (im gebräuchlichen Sinn und für die Schwungeinleitung) begründet bzw. anatomisch möglich macht (mit wem hab ich damals drüber diskutiert, dass Buckelfahren keine Tiefentlastung ist?)!

2. Die Messungen bzw. Ergebnisse (ich beschränke mich auf den Fall der "Hochentlastung") stehen in keinem Widerspruch zur "Theorie", werden aber IMO falsch interpretiert! Das isolierte Ergebnis ist: Ein (An-)Drehen der Ski findet bereits vor der Belastung statt. Dies wird insofern interpretiert, als dass die Vertikalbewegung keinen Effekt auf die Skidrehung hat. Das ist imo falsch. Richtig wäre auch eigentlich nicht der Begriff "Vertikalbewegung", sondern "Aufrichtbewegung". Das Aufrichten bedingt ein Abkanten, Abkanten bedingt ein Andrehen der Ski, logischerweise findet das Aufrichten aber vor der Entlastung statt. Die Beobachtung, dass die Entlastung nicht den (allerersten Drehimpuls) bedingt, ist also richtig. Die Kausalität, dass die Vertikalbewegung keinen Einfluss auf die Skidrehung hat, aber falsch.

3. Im Grunde kann man einen gedrifteten Schwung in 3 Drehphasen einteilen: Zuerst das Andrehen der Ski bedingt durch das Abkanten (im Zuge der Aufrichtbewegung, und damit unter Belastung). Als zweites das Drehen im entlasteten Zustand am Ende der Hochbewegung. Zuletzt ein Ausdrehen/-steuern im Zuge einer Tiefbewegung (sozusagen eine Tiefentlastung ausgangs der Hochentlastung, "Drehen im Beugen"). Die Relevanz von v.a. Phase 1 und 2 ist bedingt durch den Schneewiderstand (da Phase 1 ein sehr geringes Drehmoment bei höherem Schneewiderstand als Phase 2 aufweist). Insofern ist ggf. auf Eis das Hochentlastungsdrehen relativ irrelevant, dies kann aber nicht auf alle Schneearten gleichermaßen zutreffen (siehe Martins Beispiel des nassen Tiefschnees).

4. Irgendwo in diesem Thread ist mal erwähnt, dass die Höhe des KSP sich auf den Druck und damit die Durchbiegung des Skis auswirkt. Wie kommt man auf so was?? :o

5. Das von Chianti gepostete KS-Video ist kein Driften (Steuern), sondern Rutschen. Dazu benötigt man tatsächlich keine Vertikalbewegung, da der Ski in Vor-/Rückrichtung teilweise unbelastet ist und als "Richtungsänderung" sozusagen nur die Skienden hin- und hergeschoben werden.

6.
Chianti hat geschrieben:In aktuellen Lehrplänen oder -schemata spielt die "Entlastung" bei der Schwungeinleitung daher auch keine Rolle mehr:
Mmh, stimmt so nicht. Die von Dir gepostete Grafik ist (ein bisschen verschlimmbessert) eine isolierte Abbildung des Lehrplans und beschreibt sozusagen Funktionale des Skifahrens. Da eine Vertikalbeweung nur eine Aktion zur Ausführung eines Funktionals sein kann, steht sie dort natürlich nicht dabei. "Keine Rolle" zeigt aber nur, dass Du das Buch nicht (vollständig) gelesen hast... :wink:
What do democrats actually want?

Democrats always want a majority.

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