Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

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plateaucarver
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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von plateaucarver » 18.09.2012 14:14

maestro70 hat geschrieben:Also steht hier die 100% festgestellte Schuld des Unfallverursachers gegen die (eben nicht 100%ige Wahrscheinlichkeit) einer Mitschuld durch Fahren ohne Helm (Gutachter A u. B) Und wenn nach deutschem Recht eine Schuld nicht 100% nachgewiesen werden kann, heisst es "im Zweifel für den Angeklagten" -> also keine Mitschuld!
Das gilt für einen Strafprozess (wenn der Verursacher wegen Körperverletzung angezeigt wird z.B.). Bei einem Zivilprozess wie in diesem Fall gelten andere, nicht ganz so strenge Maßstäbe (siehe O.J.-Simpson-Prozesse: strafrechtlicher Freispruch, zivilrechtlich zu Schadensersatz verurteilt: Sehr selten, aber auch in D nicht unvorstellbar, Beispiele siehe unten) und außerdem geht es im Zivilrecht nicht um Schuld, sondern um Verursachung, Mitverschulden (durch Verletzung einer Obliegenheitspflicht wie hier) und Ansprüche (Geld, Herstellung des ursprünglichen Zustandes etc.).

Es ist durchaus denkbar, dass ein Strafverfahren wegen Geringfügigkeit oder fehlendem öffentlichen Interesse eingestellt wird, der Täter aber Schadensersatz leisten muss. Auch Mittäter und andere Beteiligte, die im Strafprozess nicht verurteilt worden sind, können zivilrechtlich in Anspruch genommen werden (§ 830 BGB); dies ist z.B. für den Loveparade-Strafprozess zu erwarten: dass die Veranstaltung insgesamt rechtswidrig (also durch Verstoß gegen die bestehenden Vorschriften wie die geltende Bauverordnung) genehmigt wurde, der individuelle Beitrag der einzelnen Beschuldigten aber nicht ausreicht, um ihnen die Todesfälle und Verletzungen direkt zuzurechnen (was Voraussetzung für eine strafrechtliche Verurteilung ist -> Freispruch bei Anklage nach § 222 und 229 StGB), dass jeder Beteiligte aber gesamtschuldnerisch (!) für den kompletten Schaden haftet nach § 830 BGB.
Schadensersatz muss man auch leisten, wenn man aus Versehen jemanden anderen schädigt, also z.B. nicht auf die Fensterscheibe des Nachbarn gezielt hat. Die muss ersetzt werden, auch wenn der Fußballnachwuchs noch nicht strafmündig ist oder wenn man als Erwachsener eigentlich das Tor anvisiert hat. Das ist nicht strafbar nach § 303 StGB, da nicht vorsätzlich (§ 15 StGB) und damit nicht rechtswidrig, aber dennoch schadensersatzpflichtig nach § 823 BGB.

Ebenso ist denkbar, dass jemand wegen der Schädigung eines anderen aufgrund fahrlässiger Körperverletzung oder gar fahrlässiger Tötung verurteilt wird (Verkehrs- oder Skiunfall), aber nicht den gesamten Schaden bezahlen muss, weil der Geschädigte seine Obliegenheitspflichten verletzt hat (eben das aktuelle Beispiel mit dem Skihelm oder das andere mit den mangelhaft verpackten wertvollen Vasen, auch ein Verstoß gegen die Anschnallpflicht wäre denkbar) und darum der Schaden höher war als unbedingt notwendig.
Zuletzt geändert von plateaucarver am 18.09.2012 14:28, insgesamt 4-mal geändert.

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saschad74
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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von saschad74 » 18.09.2012 14:16

Th3oran hat geschrieben: In diesem Fall verstehst du entweder den auf diese Ausage folgenden Abschnitt nicht oder hast gar nicht weitergelesen. Denn dort wird genau erlaeutert, wie man zu diesem Schluss kommt.

Nur mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass die vorher dargestellten Daten dies nicht wiedergeben.
Th3oran hat geschrieben:Zugebenermassen werden hier die Daten nicht so offen dargestellt wie in der Kanadischen Studie.
Dann zeige mir doch einfach die beweiskräftigen Daten, die ich nicht sehe. Nur weil ich etwas angeblich nicht verstehe, heisst es ja nicht, dass man es mir nicht vielleicht doch erklären kann.

Gruß,
Sascha

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von Th3oran » 18.09.2012 14:35

Die Aussage bezueglich der Schadensreduktion von Skihelmen, beruht ja auch nicht auf der von dir erwaehnte Tabelle. Sondern auf der im naechsten Abschnitt (zugegebenermassen duerftig) beschriebenen Fall-Kontroll Studie. Verzeih mir jedoch, wenn ich kein Interesse habe, dir die statistischen Grundlagen von Fall-Kontroll Studien zu erklaeren.

Gerade als derjenige, der in der Diskussion, zumindest soweit ich sie ueberflogen habe, am vehementesten auf Wissenschaftlichkeit pocht, waere es aus meiner Sicht das Mindeste, die verwendete Methode der Studie ueberhaupt erst einmal zu verstehen, ehe man ihren Inhalt als Unsinn abwertet. Ein derartiges Vorgehen beraubt dich in meinen Augen jeglicher Glaubwuerdigkeit und belegt im Prinzip was dir auch von anderer Stelle schon vorgeworfen wurde. Naemlich dass du nur an einer Verifizierung deine persoenlichen Meinung interessiert bist.
Zuletzt geändert von Th3oran am 18.09.2012 14:42, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von saschad74 » 18.09.2012 14:39

Th3oran hat geschrieben:Die Aussage bezueglich der Schadensreduktion von Skihelmen, beruht ja auch nicht auf der von dir erwaehnte Tabelle. Sondern auf der im naechsten Abschnitt (zugegebenermassen duerftig) beschriebenen Fall-Kontroll Studie. Verzeih mir jedoch, wenn ich kein Interesse habe, dir die statistischen Grundlagen von Fall-Kontroll Studien zu erklaeren.
Ich verzeihe Dir. Wenn Du mir im Gegenzug verzeihst, wenn ich nicht per se alles glaube, was irgendjemand irgendwo behauptet, vor allem, wenn es nicht durch die entsprechenden Zahlen belegt wird, sondern im Gegenteil, andere Zahlen nahelegen, dass die gefolgerte Aussage evtl. nicht korrekt ist.

Gruß,
Sascha

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von Th3oran » 18.09.2012 14:50

Das mag daran liegen, dass du einen nach wissenschaftlichen Standards unhaltbaren Schluss aus der ersten Tabelle ziehst. Schliesslich gibt es ausser der Quote der Helmtragenden, weitere Variablen die den Anteil der Kopfverletzungen an allen Verletzungen mitbestimmen. Genau diese Abhaengigkeiten versucht man in der Fall-Kontroll Studie aufzuloesen. Andernfalls sind eben keine Aussagen moeglich.

Weiter sind die notwendigen Daten in der kanadischen Studie hinreichend aufgeschluesselt um sie nachzuvollziehen. Solltest du das getan haben, und entsprechende Kritikpunkte an ihrem Vorgehen in ihrer Studie vorbringen koennen, macht es vielleicht Sinn diese Diskussion fortzufuehren. Bis dahin darf aus wissenschaftlicher Sicht die Wirksamkeit von Helmen weiterhin als erwiesen gelten. Was dich natuerlich nicht davon abhalten muss, weiterhin das Gegenteil zu glauben und zu behaupten.
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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von skiingman » 18.09.2012 21:07

plateaucarver hat geschrieben:Es ist durchaus denkbar, dass ein Strafverfahren wegen Geringfügigkeit oder fehlendem öffentlichen Interesse eingestellt wird, der Täter aber Schadensersatz leisten muss. Auch Mittäter und andere Beteiligte, die im Strafprozess nicht verurteilt worden sind, können zivilrechtlich in Anspruch genommen werden (§ 830 BGB); dies ist z.B. für den Loveparade-Strafprozess zu erwarten: dass die Veranstaltung insgesamt rechtswidrig (also durch Verstoß gegen die bestehenden Vorschriften wie die geltende Bauverordnung) genehmigt wurde, der individuelle Beitrag der einzelnen Beschuldigten aber nicht ausreicht, um ihnen die Todesfälle und Verletzungen direkt zuzurechnen (was Voraussetzung für eine strafrechtliche Verurteilung ist -> Freispruch bei Anklage nach § 222 und 229 StGB), dass jeder Beteiligte aber gesamtschuldnerisch (!) für den kompletten Schaden haftet nach § 830 BGB.
Schadensersatz muss man auch leisten, wenn man aus Versehen jemanden anderen schädigt, also z.B. nicht auf die Fensterscheibe des Nachbarn gezielt hat. Die muss ersetzt werden, auch wenn der Fußballnachwuchs noch nicht strafmündig ist oder wenn man als Erwachsener eigentlich das Tor anvisiert hat. Das ist nicht strafbar nach § 303 StGB, da nicht vorsätzlich (§ 15 StGB) und damit nicht rechtswidrig, aber dennoch schadensersatzpflichtig nach § 823 BGB.
Wieso kennst Du dich auf dem Gebiet eigentlich so gut aus? Bist Du Jurist?

Gruß Markus

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plateaucarver
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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von plateaucarver » 18.09.2012 21:45

BGB-Grundlagen aus einem Wirtschaftsstudium plus Mitverfolgen der Diskussion um die strafrechtlichen Aspekte der Loveparade in einem Jura-Blog reichen schon ...

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von skiingman » 19.09.2012 05:25

plateaucarver hat geschrieben:BGB-Grundlagen aus einem Wirtschaftsstudium plus Mitverfolgen der Diskussion um die strafrechtlichen Aspekte der Loveparade in einem Jura-Blog reichen schon ...
Das sehe ich anders. Für 'nen Nicht-Juristen finde ich deine Ausführungen ziemlich gelungen. Respekt!
Gruß Markus

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von Poldy » 19.09.2012 09:06

plateaucarver hat geschrieben:BGB-Grundlagen aus einem Wirtschaftsstudium plus Mitverfolgen der Diskussion um die strafrechtlichen Aspekte der Loveparade in einem Jura-Blog reichen schon ...
die Frage ist, wozu es reicht.

Gerichtliche Entscheidungen wie die, welche den Ausgangspunkt dieser Diskussion bildet, sind für Nichtjuristen meiner Ansicht nach wirklich schwer verständlich. Man meint vielleicht, durchdrungen zu haben, worum es geht, tatsächlich aber schrammt so mancher Kommentar haarscharf an der Bedeutung der Entscheidung vorbei.

Das aber ist an sich nicht schlimm. Wäre ja auch langweilig, wenn nur Fachleute über Fachthemen diskutierten.

Gruss Poldy

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Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von plateaucarver » 19.09.2012 10:20

Poldy hat geschrieben:die Frage ist, wozu es reicht.
Erstmal für das, was ich in dem zitierten Beitrag klarstellen wollte: den Unterschied zwischen Strafprozess ("im Zweifel für den Angeklagten") und Zivilprozess (Haftung auch ohne Straftat oder Regelverstoß, Mitschuld des Geschädigten möglich) und weshalb die Urteile unterschiedlich ausfallen können. Und das möglichst nichtjuristisch, also verständlich ausgedrückt. ;-)

Darum habe ich auch das Lösungssschema für Fahrlässige Tötung weggelassen, obwohl das verdeutlicht, warum bei einem Loveparade-Strafprozess (der ja noch nicht einmal terminiert ist) möglicherweise gar niemand verurteilt oder nur wenige Angeklagte eine geringe Strafe erhalten könnten. Ein weiteres bekanntes Beispiel für dieses "Schuldzuweisungsproblem" sowie für die Unterschiede zwischen Zivil- und Strafrecht ist der Einsturz der Eislaufhalle Bad Reichenhall: "«Wir gehen von einer zivilrechtlichen Haftung aus, unabhängig davon, was die Staatsanwaltschaft zur strafrechtlichen Seite sagen wird», sagte ein Sprecher der Versicherungskammer". Dort wurde die zivilrechtliche Seite geregelt und Entschädigungen gezahlt, über ein Jahr bevor der Strafpozess begann. (OT: Am Beispiel der dortigen Haftpflichtversicherung könnte sich die Axa übrigens eine dicke Scheibe abschneiden - nur für den Fall, dass jemand zur Zeit auf der Suche nach einer Haftpflichtversicherung ist und entscheidungsrelevante Informationen braucht)

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