Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Alles zum Thema Sicherheit, Verhalten und Regeln auf der Piste
Benutzeravatar
plateaucarver
Beiträge: 912
Registriert: 21.12.2011 21:14
Vorname: Ekki
Ski: alle Neune ...

Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von plateaucarver » 05.09.2012 21:24

Erhebliches Mitverschulden der Skifahrer wegen fehlenden Helm

Die private Haftpflichtversicherung eines Skifahrers hat nicht unbedingt vollen Schadensersatz zu leisten, wenn ihr Versicherungsnehmer zwei andere Skifahrer, die ohne Helm unterwegs sind, verletzt; Urteil des OLG München vom 22.03.2012 – Az.: 8 U 3652-11.

"Zur Begründung führten die Richter aus, hinsichtlich der Kopfverletzungen liege ein erhebliches Mitverschulden insbesondere deswegen vor, weil die Unfallopfer die Schäden am Schädel durch Tragen eines Helms hätten minimieren können."


http://www.arag.de/rund-ums-recht/recht ... eit/05930/

"Eine solche richterliche Entscheidung ist bisher zwar einmalig, geht jedoch alle Skifahrer an."

1. Instanz LG - nun OLG - ob das noch zum BGH geht?

http://www.anwalts-team.de/f894725983a3 ... recht.html

1.Wird ein auf der Ski-Piste in einer Gruppe - ohne Verstoß gegen die FIS-Regel - anhaltender Skifahrer an gut einsehbarer Stelle durch einen mit hoher Geschwindigkeit fahrenden, an einer Bodenwelle stürzenden Skifahrer umgefahren und zieht sich hierbei Verletzungen am Kopf zu, die durch das Tragen eines Skihelms vermeidbar gewesen wären, dann ist insoweit eine Mitverschuldensquote von 50% anzunehmen.
2. Anders als bei Fahrradfahren, das eine Person, z.B. auch zur Arbeit, zum Einkaufen o.ä. bringen kann, handelt es sich beim Skifahren stets um eine sportliche Betätigung.
3. Die Begriffe "besondere sportliche Ambition, (nicht) das Erzielen hoher Geschwindigkeiten im Vordergrund" sind unscharf und kaum verifizierbar.
4. Abgesehen davon sind die beim Skifahren erzielten Geschwindigkeiten - auch bei Anfängern - höher als die von Fahrradfahrern durchschnittlich erreichten Geschwindigkeiten.
5. Das Tragen von Helmen auf Skipisten ist eine Obliegenheit i.S.d. § 254 BGB.

Benutzeravatar
Uwe
Webmaster
Beiträge: 8387
Registriert: 22.05.2001 02:00
Vorname: Uwe
Ski: Elan SLX - Fischer Progressor 800
Ski-Level: 94
Wohnort: vor'm PC
Kontaktdaten:

Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von Uwe » 05.09.2012 23:50

Interessant ... Danke für die Info!
Uwe

Benutzeravatar
M.H.
Beiträge: 970
Registriert: 16.02.2005 13:40
Vorname: Michael
Ski: Edelwiser
Ski-Level: 43
Wohnort: Mödling, Österreich

Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von M.H. » 06.09.2012 06:22

Wobei ja meines Erachtens die eigentliche Tragödie (schwere Kopfverletzung) unabhängig vom Urteil bereits einen ausreichenden Grund darstellt einen Helm zu tragen. Ich trag seit geraumer zeit einen und wenn ich mir anschaue wie oft auf einer vollen Piste hohe Geschwindigkeit und niedriges Können zusammenkommen bereue ich diese Entscheidung absolut nicht.

Was ich anhand dieses Urteils erwarte ist, daß im Falle eines Zusammenstoßes der Verursacher nun gerne zur schwer widerlegbaren Schutzbehauptung greifen wird, daß er vor dem Zusammenstoß schon gestürzt ist (bzw. im Stürzen war) um durch die Teilschuld des Opfers eventuelle Schadensersatzansprüche zu minimieren.
den Schnee auf dem wir alle talwärts fahren
kennt heute jedes Kind

Benutzeravatar
plateaucarver
Beiträge: 912
Registriert: 21.12.2011 21:14
Vorname: Ekki
Ski: alle Neune ...

Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von plateaucarver » 06.09.2012 08:08

Welchen Unterschied sollte das machen? In beiden Fällen ist man zu 100% Unfall- und Schadensverursacher und in beiden Fällen hat man gegen FIS-Regeln verstoßen (Auf Sicht fahren, jederzeit anhalten können, Abstand halten).

Poldy
Beiträge: 452
Registriert: 23.12.2009 18:08
Vorname: Marcus

Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von Poldy » 06.09.2012 08:44

hoi

die Entscheidung sollte genau gelesen werden. Das Gericht schränkt das Mitverschulden aufgrund des fehlenden Helms ein auf die Unfallfolgen, die beim Tragen eines Helms vermeidbar gewesen wären. Dies ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens vermischt das Gericht Fragen des Haftungsgrundes und der Haftungshöhe. Zweitens folgen daraus erhebliche Abgrenzungsprobleme.

Mal sehen, was noch kommt.


Gruss Poldy

Benutzeravatar
M.H.
Beiträge: 970
Registriert: 16.02.2005 13:40
Vorname: Michael
Ski: Edelwiser
Ski-Level: 43
Wohnort: Mödling, Österreich

Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von M.H. » 06.09.2012 09:10

plateaucarver hat geschrieben:Welchen Unterschied sollte das machen? In beiden Fällen ist man zu 100% Unfall- und Schadensverursacher und in beiden Fällen hat man gegen FIS-Regeln verstoßen (Auf Sicht fahren, jederzeit anhalten können, Abstand halten).
Inwieweit sich diese Regeln auf jemand der nicht mehr fährt beziehen lassen, muß sich wohl erst noch herausstellen (im Zweifelsfall vor Gericht). Da ist dann wohl die interessante Frage ob der Bruchpilot der während des Sturzes in jemand hineinschlittert vor dem Sturz FIS-konform verhalten hat. Auch bei vorher FIS-konformer Fahrweise kann ich durch einen Dritten in eine Situation gebracht werden in der ich nicht jederzeit anhalten kann (z.B.: Jemand ausweichen der mich selbst schneidet um eine Kollision zu vermeiden).

Für mich liest sich die zitierte Ausführung des OLG Münchens aber so: Wer sich nicht schützt ist selber (teil)schuld, egal wieviel Scheiße der Unfallgegner gebaut hat.

Mal die nicht juristisch qualifizierte Ausführung bezüglich Schadenersatzminimierung durch den Verursacher:
Die Verursacher haften dem Geschädigten gegenüber für den Schaden.
Wenn der Geschädigte eine Teilschuld trägt (z.B. 50%) so haftet er sich selbst gegenüber für diesen Schadensanteil. Der oder die anderen Verursacher haften nach Adam Riese für die anderen 50% der Schadenssumme. (Quotenvorrecht)

Wenn ich es also als Verursacher schaffe das Gericht davon zu überzeugen, daß mein Unfallgegner eine Teilschuld trägt, wälze ich also die Zahlung eines Teiles des Schadenersatzes auf diesen ab.
Oder andersrum, die Teilschuld des Opfers vermindert den durch die Verursacher zu leistenden Anteil des Schadenersatzes von 100% auf einen kleineren Teil.
den Schnee auf dem wir alle talwärts fahren
kennt heute jedes Kind

Benutzeravatar
NeusserGletscher
Beiträge: 2102
Registriert: 30.01.2008 15:59
Vorname: Peter
Ski: ein paar zu viel
Ski-Level: 042
Skitage pro Saison: 20
Wohnort: Dorf an einem Bach

Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von NeusserGletscher » 06.09.2012 09:53

Und was ist mit Fußgängern, die im Skigebiet unterwegs sind und deren Wegen auch gelegentlich die Pisten kreuzen?

Müssen die sich auch ein Mitverschulden anrechnen lassen, wenn sie keinen Helm tragen? Oder macht es einen Unterschied, ob der Fußgänger spazieren geht, sich also sportlich betätigt, oder seine Einkäufe vom Supermarkt nach Hause trägt?

So sehr ich selbst das Tragen von Helmen befürworte, aber hier geht das Gericht im Sinne der Versicherung doch zu weit. Was ist denn, wenn ein Skifahrer so zum Pflegefall wird. Er wird wohl die Kosten nach diesem Urteil zur Hälfte selbst tragen müssen.

Was kommt als nächstes? Die Anrechnung einer Mitschuld bei Rückenverletzungen, wenn ich keinen Protektor trage?
plateaucarver hat geschrieben:2. Anders als bei Fahrradfahren, das eine Person, z.B. auch zur Arbeit, zum Einkaufen o.ä. bringen kann, handelt es sich beim Skifahren stets um eine sportliche Betätigung.
Das ist historisch und aktuell völlig falsch. Im Winter erledige ich auch meine Einkäufe auf Ski.

Im täglichen Straßenverkehr sind Fußgänger und Radfahrer durch Geschwinigkeit und Masse von PKW und LKW viel größeren Gefahren ausgesetzt. Ich bin gespannt, wann dieses "Versicherung will sich vor Zahlung drücken" Urteil auch dort Anwendung findet.

Helmpflicht für Radfahrer und Fußgänger. Ein Treppenwitz aus den miefigen Amtsstuben eines Deutschen Gerichts.
Was man selbst erledigt können andere nicht verkehrt machen.

Benutzeravatar
plateaucarver
Beiträge: 912
Registriert: 21.12.2011 21:14
Vorname: Ekki
Ski: alle Neune ...

Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von plateaucarver » 06.09.2012 10:09

Ich kann mit folgende Argumentationskette vorstellen:
Das Gericht hat wohl das Skifahren bzw. den Aufenthalt auf Skipisten als potentiell gefährlich angesehen (angesichts der Unfallzahlen wohl nachvollziehbar). Begibt man sich freiwillig in Gefahr, gehört es - alleine schon aus Eigeninteresse - zur "Pflicht", die allgemein anerkannten, üblichen und ohne unangemessenen Aufwand leistbaren Schutzmaßnahmen zu ergreifen (z.B. Helm tragen beim Skifahren). Tut man das nicht, geschieht dies auf eigenes Risiko.

Mal ein Vergleich: wer im Frühjahr ohne Handschuhe fährt und sich beim Sturz in den Sulz die Hände aufreißt, erntet ja auch nur ein "selber schuld", obwohl es keine Handschuhpflicht gibt.

Ebenfalls vergleichbar: auch bevor es keine ausdrückliche Winterreifenpflicht gab, hatte man bei Versicherungen ganz schlechte Karten, wenn man auf Schnee und Matsch mit Sommerschlappen unterwegs war und das Ausmaß der eigenen Schäden zumindest zum Teil auf die unangepasste Bereifung zurückgeführt werden konnte.

Hätte das Unfallopfer eine Schulterverletzung oder einen Armbruch durch den Sturz erlitten, wäre das Urteil sicher anders ausgegangen; ein Oberkörperprotektor ist - im Gegensatz zum Helm - noch nicht allgemein verbreitet.

Ob es irgendwann ein vergleichbares Urteil bei einem Sturz ohne Fremdeinwirkung geben wird, ist aber zweifelhaft, da die AVB der Unfallversicherungen bei Risikosportarten i.a. recht großzügig sind und keine ausdrücklichen Schutzmaßnahmen verlangen (Gleitschirmfliegen und Fallschirmspringen ausgenommen).

Ein paar Sätze aus anderen Urteilen sind durchaus interessant:

"Zwar dienen die FIS-Regeln vorrangig dem Schutz anderer Skifahrer. Naturgemäß schützen sie aber nicht nur Dritte, sondern mittelbar auch den betroffenen Skifahrer selbst vor Unfällen. Sie sind insoweit auch Maßstab für den Umfang der in eigenen Angelegenheiten gebotenen Sorgfalt, zumal ein Mitverschulden im Sinne von § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht voraussetzt, dass ein Verstoß gegen eine im Interesse des Anspruchsgegners bestehende, besondere Rechtspflicht gegeben ist. Notwendig, aber auch ausreichend ist es, wenn der Geschädigte vorsätzlich oder fahrlässig diejenigen Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Schadensabwendung und -minderung nach Treu und Glauben ergreifen würde und die nach Lage der Sache erforderlich erscheinen, um sich selbst vor Schaden zu bewahren." (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.11.2009 - 5 U 72/09)

Dazu gehört auch, sich nicht zu besaufen: "Einen Snowboardfahrer, der im Zuge eines "bach-side-turns" gegen einen Lichtmast gerät, trifft ein Mitverschulden. Er hat sein Fahrverhalten so einzurichten, dass er ständig auf Sicht fährt und sich auf Hindernisse einstellen und einen Sicherheitsabstand zu diesen einhalten kann. Ist er alkoholisiert (hier: zwischen 1,15 und 2,05 Promille), so beträgt der Mitverschuldensanteil 75 % auch dann, wenn nicht von einer Helmpflicht, gegen die er verstoßen hätte, ausgegangen wird."(gleiches Urteil)

Edit:
NeusserGletscher hat geschrieben:Im täglichen Straßenverkehr sind Fußgänger und Radfahrer durch Geschwinigkeit und Masse von PKW und LKW viel größeren Gefahren ausgesetzt. Ich bin gespannt, wann dieses "Versicherung will sich vor Zahlung drücken" Urteil auch dort Anwendung findet.
Das kann ich mir beim Einkäufe erledigen oder auf dem Weg zu Schule/Arbeit nicht vorstellen, bei einem sportlich auf dem Rennrad oder MTB Trainierenden dagegen sehr gut, wenn dem z.B. die Vorfahrt genommen wird (schließlich ist dort bei Sportwettkämpfen ein Helm vorgeschrieben).
Poldy hat geschrieben:Erstens vermischt das Gericht Fragen des Haftungsgrundes und der Haftungshöhe
Die Vorgehensweise ist doch aber normal und keine Vermischung: 1. wer war ursächlich für den Schaden, ist also der Verursacher, 2. hat er dabei gegen Regeln verstoßen (strafrechtliche oder allgemein anerkannte wie die FIS-Regeln oder DIN-Normen der Bindungseinstellung), 3. hat der Geschädigte etwas zur Schadensverursachung beigetragen (eigene Regelverstöße z.B.), 4. hat der Geschädigte gegen das Gebot, die Schadenshöhe möglichst gering zu halten, vorsätzlich oder fahrlässig verstoßen.

All das folgt nur den gesetzlichen Bestimmungen aus §823, §249 und §254 BGB.
Zuletzt geändert von plateaucarver am 06.09.2012 10:48, insgesamt 1-mal geändert.

Poldy
Beiträge: 452
Registriert: 23.12.2009 18:08
Vorname: Marcus

Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von Poldy » 06.09.2012 10:38

plateaucarver hat geschrieben:Das kann ich mir beim Einkäufe erledigen oder auf dem Weg zu Schule/Arbeit nicht vorstellen, bei einem sportlich auf dem Rennrad oder MTB Trainierenden dagegen sehr gut, wenn dem z.B. die Vorfahrt genommen wird (schließlich ist dort bei Sportwettkämpfen ein Helm vorgeschrieben).
Das wird auch so in Entscheidungen vertreten. Auf diese Tendenz nimmt das OLG München ja auch Bezug. Der BGH ( dessen Entscheidungen in der Praxis in Deuschland die Rechtssprechung prägen )
kann sich wohl nicht so recht entscheiden; vergl. BGH VI ZR 171/07

Gruss Poldy

Benutzeravatar
plateaucarver
Beiträge: 912
Registriert: 21.12.2011 21:14
Vorname: Ekki
Ski: alle Neune ...

Re: Wichtiges Urteil zum (Nicht-) Tragen von Skihelmen

Beitrag von plateaucarver » 06.09.2012 11:00

Poldy hat geschrieben:Das wird auch so in Entscheidungen vertreten... vergl. BGH VI ZR 171/07
danke für die --> Fundstelle

Antworten